In dieser Serie sollen die legendären EM-Momente ausgewählter Teilnehmermannschaften betrachtet werden. Wer waren die großen Spieler? Was waren die entscheidenden Momente? Was die großen... Legendäre EM-Teams | Frankreichs zweiter Streich dank Golden Goal – und der Abstieg bis 2008

In dieser Serie sollen die legendären EM-Momente ausgewählter Teilnehmermannschaften betrachtet werden. Wer waren die großen Spieler? Was waren die entscheidenden Momente? Was die großen Rückschläge? Diesmal ist der zweimalige Europameister Frankreich dran.

EM 2000 in Belgien und Holland – Trezeguet beschert Frankreich den zweiten Titel

Nach dem Weltmeistertitel 1998 waren die Franzosen auch bei dieser EM der absolute Topfavorit, blieb die Mannschaft zum Triumph zwei Jahre davor nahezu unverändert. Mit Roger Lemerre stand jedoch ein neuer Trainer an der Außenlinie, da Aime Jacquet nach dem Titelgewinn 98 zurücktrat. Lemerre musste also große Fußstapfen ausfüllen, was ihm von der oft überkritischen französischen Öffentlichkeit nicht zugetraut wurde. Der Gegenwind war heftig und der Druck entsprechend groß. Dem neuen Coach stand jedoch eine eingespielte und erfahrene Mannschaft um die Achse Desailly-Deschamps-Zidane-Henry zur Verfügung. Nebenbei gehörten die restlichen Spieler, wie Patrick Vieira, Laurent Blanc, Youri Djorkaeff oder Lilian Thuram  auch zur creme de la creme des europäischen Fußballs. Gerade Vieira hatte bei Arsenal nochmals einen großen Sprung gemacht und war nun auch in der Nationalelf zum unumstrittenen Stammspieler geworden.

Die Franzosen starteten souverän mit einem 3:0 gegen Dänemark in das Turnier. Die hoffnungslos unterlegenen Dänen hatten keine Chance gegen die französische Angriffsmaschinerie, was für den Spannungsgehalt des Turniers nicht gerade Hoffnung machte. In die Torschützenliste konnten sich Blanc, Henry und Sylvain Wiltord eintragen. Auch das nächste Spiel gewann Frankreich durch Tore von Henry und Djorkaeff mit 2:1 gegen Tschechien. Der Mitfavorit Holland zeigte den Franzosen im letzten Gruppenspiel aber die Grenzen auf. In einem mitreißenden Match siegten die Niederländer mit 3:2 und sorgten so für die erste Ernüchterung im französischen Lager (Tore: Dugarry, Trezeguet – Kluivert, de Boer, Zenden).

Trotzdem zogen die Franzosen als Gruppenzweiter in das Viertelfinale ein. Dort warteten die Spanier, die bis dato noch nicht überzeugen konnten. In einer zähen Partie gelangen der „equipe tricolore“ in der ersten Halbzeit zwei Tore durch Zidane und Djorkaeff. Den zwischenzeitlichen Ausgleich für die Spanier besorgte Gaizka Mendieta per Elfmeter. Kurios: in der 90. Minute bekam Spanien einen weiteren Elfmeter zugesprochen. Der extrem sichere Mendieta war da aber bereits ausgewechselt. Raul versagten die Nerven vom Punkt und so zog Frankreich in das Halbfinale ein.

Geheimfavorit Portugal sollte hier die nächste Hürde sein. In der wahrscheinlich besten Partie des Turniers war Portugal von Anfang an die überlegene Mannschaft, was sich im 1:0 in der 19. Minute durch Nuno Gomes niederschlug. Auch danach dominierte das Team um Superstar Luis Figo das Spiel. Dieser Dominanz tat auch der unverdiente Ausgleich in der 51. Minute durch Henry keinen Abbruch. Bis zum Ende der regulären Spielzeit brachten die Portugiesen den Ball aber nicht mehr im Tor unter. In der Nachspielzeit wurde dann der portugiesische Paradiesvogel Abel Xavier zur tragischen Figur. Zunächst vergab er die Riesenmöglichkeit per Kopf zum entscheidenden Tor und dann sprang ihm zusätzlich noch der Ball im eigenen Strafraum an die Hand. Der Österreicher, und später zum besten Schiedsrichter des Turniers gewählte Günter Benkö, zeigte ohne zu zögern auf den Punkt. Den Elfmeter verwandelte Zinedine Zidane in der 117. Minute, nach der Golden-Goal-Regel stand Frankreich damit im Finale. Zidane konnte also das Duell der damaligen besten Fußballer der Welt gegen Luis Figo für sich entscheiden. Nach dem Schlusspfiff rasteten einige Spieler von Portugal komplett aus und bespuckten unter anderem Benkö, was lange Sperren nach sich zog.

Im Finale wartete Italien auf die „Grand Nation“, das sich im Halbfinale erst im Elfmeterschießen gegen Gastgeber Holland durchsetzen konnte. Auch im Finale war Frankreich überraschenderweise die klar unterlegene Mannschaft. Italien wurde von den Experten vor dem Turnier eigentlich nicht viel zugetraut, hinzu kam noch die schwere Verletzung von Torhüter Gianluigi Buffon kurz vor dem Turnierstart. Ersatzmann Francesco Toldo spielte aber zur Überraschung aller eine überragende EM, was ein Grund für den nicht zu erwartenden Einzug der Italiener in das Finale war. Frankreich ging als klarer Favorit in das Spiel, jedoch übernahmen die Italiener mit ihrer wohl besten Leistung des Turniers, von Beginn an die Kontrolle. Ein Plot, der so nicht zu erwarten war. Folgerichtig gingen die Italiener in der 55. Minute durch Marco Delvecchio in Führung. Bis zum Ende der regulären Spielzeit konnte die „squadra azzurra“ das Ergebnis nicht nur halten, hatte sie doch auch weiterhin gute Möglichkeiten, den Vorsprung komfortabler zu gestalten. Frankreich wirkte wie gelähmt. Doch dann geschah das eigentlich Unmögliche: Als sich ganz Italien schon in Colosseum-Abriss-Stimmung befand, tankte sich der zuvor eingewechselte Sylvain Wiltord in einem verzweifelten letzten Versuch durch und plötzlich stand es, dank eines Torwartfehlers von Toldo, 1:1. Die Zeiger der Uhr standen auf 90+4! Das Spiel musste in die Verlängerung und Frankreich hatte das Momentum nun klar auf seiner Seite. Nach den 120 Minuten gegen Holland war die Abwehr der Italiener stehend K.O. In der 103. Minute konnte der eingewechselte Robert Pires unbehelligt fast bis zur Grundlinie durchgehen, legte dann in den Rücken der Abwehr ab, wo der ebenfalls eingewechselte David Trezeguet bereits am Elfmeterpunktstand lauerte und den Ball mit aller Entschlossenheit gegen die Laufrichtung von Toldo unter die Latte setzte. Frankreich war nach 1984 zum zweiten Mal Europameister.

EM 2008 in Österreich und der Schweiz – der Tiefpunkt vor dem Tiefpunkt

Das Abschneiden bei der Weltmeisterschaft 2006 hat dem französischen Fußball im nach hinein betrachtet wohl mehr geschadet als genutzt. Viele Probleme im Bezug auf den Generationswechsel wurden durch den Finaleinzug übertüncht. Auch hätte der französische Verband bemerken müssen, wie niedrig das Standing von Trainer Raymond Domenech innerhalb der Mannschaft war. Faktisch hatten die alten Recken um Zinedine Zidane das Ruder bei der Weltmeisterschaft fest in der Hand, da sie schnell merkten, dass es mit diesem Trainer keinen Blumentopf zu gewinnen gibt. Inoffizielle Quellen behaupteten sogar, Zidane würde bestimmen welcher Spieler aufgestellt wird und welcher nicht. Wenn dem wirklich so war, ein unhaltbarer Zustand. Nach den Erfolgen in Deutschland hielt der Verband jedoch an Domenech fest. Dies sollte sich schon 2008, in Südafrika zwei Jahre später aber noch eklatanter, rächen. Mit ungläubigem Kopfschütteln kommentierte die französische Öffentlichkeit die Kaderzusammensetzung für diese EM. Anstatt jüngeren Akteuren eine Chance zu geben, nominierte Domenech Spieler wie Patrick Vieira, Claude Makelele, Lilian Thuram, die eindeutig über ihren Zenit hinaus waren. Zudem berief Domenech zum Beispiel Sidney Govou in den Kader, der nur noch ein Schatten vergangener Tage war. Im französischen Verband glaubte man wohl, was 2006 funktionierte, kann auch 2008 nicht verkehrt sein. Die fatalen Konsequenzen auf Grund dieser Fehleinschätzungen folgten prompt.

Mit einer fast schon an Arbeitsverweigerung grenzenden Vorstellung absolvierten die Franzosen das erste Spiel gegen Rumänien. Da auch die Osteuropäer, freundlich ausgedrückt, spielerisch limitiert waren, kam ein unansehnliches 0:0 zu Stande. Der spielerische Offenbarungseid sollte aber erst folgen. Im zweiten Gruppenspiel zerlegten die Niederlande die „les bleus“ nach Strich und Faden. Beim 1:4 waren die Franzosen so hoffnungslos unterlegen, dass man fast Mitleid bekommen konnte. Die Frage, die sich aufdrängte, war: Konnten oder wollten die Franzosen nicht besser spielen? Immer wieder drang nach außen, dass die Chemie zwischen dem Trainer und der zweifellos überalterten Mannschaft nicht stimmte. Diesmal war jedoch keine allesüberragende Figur, wie Zidane, dabei, die das Heft in Hand hätte nehmen können. So ergab sich die „equipe tricolore“ auch im letzten Gruppenspiel ihrem Schicksal. Gegen Italien war in der ersten halbe Stunde sogar noch etwas Ähnliches wie Wille zum Erreichen eines versöhnlichen Abschlusses zu sehen. Gebrochen wurde dieser aber endgültig, als Franck Ribery kurz vor der Halbzeit schwer verletzt raus musste. Am Ende stand eine ernüchternde 0:2-Niederlage. Die desaströse Bilanz nach der Gruppenphase: 1 Punkt, 1:6 Tore und der letzte Platz, sogar noch hinter Rumänien. Wer glaubte, schlimmer könne es für den französischen Fußball nicht kommen, sah sich zwei Jahre später in Südafrika jedoch eines Besseren belehrt.

Ral, abseits.at

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