Die Meinungen zu diesem Spiel werden wohl stark auseinander gehen. Für viele wird es ein eher fades, für einige ein sehr intensives und für... Taktisch hervorragend eingestellte Portugiesen machen Spaniern das Leben schwer | Entscheidung fällt erst beim Elfmeterschießen

Die Meinungen zu diesem Spiel werden wohl stark auseinander gehen. Für viele wird es ein eher fades, für einige ein sehr intensives und für noch mehr ein taktisches Spiel sein. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Unbestritten ist, dass es nur wenige vertikale Passstafetten gab und noch weniger Torchancen. Was aber Portugal taktisch auf den Platz legte, ist aller Ehren wert. Spaniens Spielweise wurde neutralisiert, trotzdem konnten sich die Favoriten über 120 Minuten behaupten und nur wenige Chancen zulassen. Fast schon schade, dass das Spiel in einem Elfmeterschießen endete. Wichtiger als das Ergebnis ist – mehr denn je – der Spielverlauf.

Spaniens leichte Veränderungen zahlen sich nicht aus

Vincente del Bosque erntet Kritik und Lob von der gesamten Fußballwelt. Lob für seine Leistungen und Errungenschaften mit dem Nationalteam; Kritik dafür, wie sich die Mannschaft seit der Europameisterschaft 2008 entwickelt hat. Sie wirken für viele immer langsamer, weniger kreativ und ohne jenen Zauber, welcher sie zur beliebtesten Nationalmannschaft der Welt gemacht hat. Stattdessen wirken die Akteure oft so, als ob sie nur suboptimal eingesetzt werden und nicht am Limit spielen. Seit der Abkehr von ihrem flexiblen 4-4-2-System agieren sie in einem 4-2-3-1, welches zentral unüblich defensiv ausgerichtet und mit passstarken Spielgestaltern ausgefüllt ist.

Meistens bilden dann Alonso und Busquets eine Doppelsechs hinter Xavi, was für viele als absolut widersinnig bezeichnet wird. Xavi wird in seinen Räumen beengt und kann das Spiel nicht wie gewohnt aufbauen, gleichzeitig sind Busquets und Alonso aufgrund des exorbitanten Ballbesitzes ohnehin einer zu viel. Darum versuchte del Bosque in diesem Spiel eine leichte makrotaktische Veränderung. Alonso sollte gelegentlich etwas höher schieben und sich vorne öfter blicken lassen. Aufgrund des hohen Pressings der Portugiesen wurde dies jedoch nur selten sichtbar und Spanien ließ Vorsicht walten: ausnahmsweise war die Doppelsechs wohl doch eine gute Idee. Dass sich dies noch unvorteilhafter aus Xavi ausübte, lag ebenso auf der Hand. Seine Auswechslung schien nur die logische Folge einer schwachen Leistung in einem System, welches eher auf seine Schwächen statt seine Stärken zugeschnitten war.

Doch dies waren nicht die einzigen Veränderungen bei den Spaniern. An vorderster Front durfte Negredo etwas überraschend von Beginn an auflaufen. Damit wollte del Bosque zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: falls Portugal extrem hoch und aggressiv pressen sollte, dann gäbe es vorne eine robuste Anspielstation für lange Bälle. Falls die Portugiesen tief standen, wollte del Bosque eine Option für hohe Hereingaben besitzen. Letzten Endes funktionierte gar nichts davon. Negredo war nicht nur Alves in der Luft und am Boden klar unterlegen, er schadete seiner Mannschaft. Die Portugiesen praktizierten nämlich ein hohes Mittelfeldpressing und fanden die richtige Mischung aus Aggressivität und Geduld. Dadurch kam es gar nicht dazu, dass die Spanier zu Flanken kamen.

Portugals Pressing – taktische Brillanz gegen den amtierenden Welt- und Europameister

Viele Mannschaften hatten damit Probleme, sich auf die inversen Läufe und Rochaden von Silva und Iniesta einzustellen. Die Startelf um Cristiano Ronaldo hingegen schaffte dies mit einigen sehr interessanten taktischen Spielereien. Sie formierten sich mit einer engen Viererkette und stellten sich circa in der Mitte ihres eigenen Feldes auf. Dadurch wurde der Raum eng gemacht, aber die eigene Viererkette stand nicht zu hoch, um einfache Lochpässe zuzulassen. Die Außenverteidiger verfolgten Iniesta und Silva soweit, bis sie ihren Gegenspieler ans defensive Mittelfeld übergeben konnten. Oftmals wirkte es deswegen wie eine Dreierkette, doch die Kommentatoren des Spiels sprachen auch von einer Fünferkette: was in gewisser Weise stimmte.

Einige Male agierten wirklich fünf Spieler auf einer Linie. Dies hatte damit zu tun, dass Linksverteidiger Jordi Alba in seinen Vorwärtsgängen eine Gefahr darstellt und mit Iniesta einen hervorragenden Kombinationsspieler besitzt. Deswegen postierten sich der ballnahe Außenmittelfeldspieler und der Außenverteidiger tief und in Höhe der anderen Verteidiger, wenn Alba aufrückte und Iniesta breit agierte. Ging Iniesta ins Zentrum, folgte ihm der Außenverteidiger, bis er ihn übergeben konnte. Danach schob er wieder zurück und drückte den Mittelfeldspieler eine Ebene nach vorne, während er selbst Alba übernahm. Damit hatten die Portugiesen einen gelernten Verteidiger gegen den gefährlichen Alba und zeitgleich konnten sie bessere Konter fahren, da der Offensivspieler befreit wurde. Iniesta wurde in die Raumdeckung des kompakten Zentrums übergeben.

Auf rechts gab es so etwas in einer ähnlichen Art und Weise mit einem anderen Gedankengang. Hier hatten die Portugiesen mit Cristiano Ronaldo ihre größte Waffe, aber auch eine defensive Schwäche. Allerdings spielte er relativ diszipliniert mit und rochierte oftmals mit Almeida, der mit seiner Robustheit Vorteile brachte. Als Linksfuß konnte er die Seite auch besser abdecken und Ronaldo zockte auf Ballgewinne. Da Arbeloa selten nach vorne kam, konnten die Portugiesen extrem interessant agieren. Teilweise verließen sie die Seite gänzlich, Almeida oder Ronaldo zockten und Coentrao rückte mit Silva in die Mitte oder höher auf. Ansonsten blieb Coentrao auf der Seite und übernahm Silva oder Arbeloa, je nachdem, wer aufrückte. Das Prinzip, dass man den für die jeweilige Aufgabe (Offensive oder Defensive) geeignetsten Spieler auswählte, blieb jedoch bestehen.

Aus all diesen Aspekten entstanden gute Konterideen und interessante Formationen. Die Portugiesen formierten sich mit einer gependelten Fünferkette und schoben auf die ballnahe Seite aggressiv drauf, während von der ballfernen Seite das Einrücken defensiv aufgefangen wurde. Auch Veloso ließ sich bei Bedarf hinten hineinfallen. Ansonsten könnte die Formation als ein 4-1-4-1 oder gar ein 4-1-2-3 bezeichnet werden, wenn im Mittelfeld gepresst wurde. Um Stress auszuüben, pressten sie sogar in der Nähe des gegnerischen Strafraums und agierten extrem kompakt, so dass das System in wenigen Extremfällen gar als ein 4-1-5 hätte bezeichnet werden können.

Magisches Defensivfünfeck und Antizipation als wichtiger Aspekt

Wenn die Portugiesen im 4-1-2-3 hoch pressten, was ihre eindrucksvollsten Phasen im Spiel waren, dann konnte eine interessante Ballorientierung beobachtet werden. Der Mittelstürmer besetzte das Sturmzentrum und ging nicht ins Rückwärtspressing mit ein, aber schob zugunsten der Kompaktheit und des passiven Druck-Ausübens nach hinten. Er gehörte nicht zu diesem Fünfeck, sondern wartete und spekulierte auf einen Ballgewinn.

Die Flügelstürmer rückten ein, was eine leichte Abkehr von den zwei Viererketten bedeutete. Sie spielten dadurch enger und konnten auf das gegnerische Herzstück, die Mittelfeldzentrale, pressen und deren Passwege blockieren. Dahinter schoben die Achter die Laufwege zu, während Veloso als Organisator und Abräumer fungiere. Vor der Abwehr war er zuständig für die Defensivbewegungen aller umliegenden Spieler und musste taktisch klug handeln: sich in die Viererkette fallen lassen, das Pressingkommando geben oder selbst mit aufrücken.

Gelegentlich entstand dieses Fünfeck auch mit dem Mittelstürmer – einer der Flügelstürmer blieb dann breit, wo er den aufrückenden Außenverteidiger okkupierte. Diese Spielweise nur zu beschreiben, ist schon komplex und darum sollte das Lob an diese portugiesische Mannschaft nicht gering ausfallen. Sie agierten extrem spielintelligent, riskant und konnten mit viel Kopfarbeit diese Spielweise gegen die wohl beste Mannschaft der Welt umsetzen. Dass dies in einem 0:0 nach regulärer Spielzeit mündete, sollte nicht negativ ausgelegt werden.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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