Damals war seine Welt noch in Ordnung: Ein Mann mit freundlichem Mondgesicht, die Hände im teuren, mit Pelzkragen besetztem, Fischgrätmantel vergraben, lächelt indirekt in... Anekdote zum Sonntag (11) – Edel-Fan Traian: „Ach, wie so trügerisch sind Frauenherzen“

Rapid retroDamals war seine Welt noch in Ordnung: Ein Mann mit freundlichem Mondgesicht, die Hände im teuren, mit Pelzkragen besetztem, Fischgrätmantel vergraben, lächelt indirekt in die Kameralinse. Er ist von kräftiger Statur, wirkt barock und gemütlich: So wie man sich einen Opernsänger vorstellt. Rechts an seiner Seite sitzt – zusammengesunken und schüchtern – Nelly, seine Ehefrau. Sie hat ihm nicht nur sein Kind geschenkt, sondern wird ihm in weniger als einem Jahr auch sein Leben nehmen. Doch als diese Fotoaufnahme entsteht ahnt das noch niemand: Das Ehepaar hat auf Holzbänken in der ersten Reihe Platz genommen. Direkt am Spielfeldrand der Pfarrwiese. Traian Grozăvescu – so der Name des beleibten Tenors – verlebt heute einen seiner guten Tage. Beim Fußball, wenn „seine“ Rapid spielt, kann er sich von seinem stressigen Leben als Star der Wiener Opernszene erholen. Und von der nicht minder anstrengenden Beziehung zu seiner Frau.

Das Foto aus den 20er-Jahren ist kein Zufallsprodukt: Grozăvescu ist bekennender Rapid-Anhänger und Stammgast bei deren Heimspielen. Die Leidenschaft für die Grün-Weißen hat rasch von ihm Besitz ergriffen, als er vor knapp drei Jahren in die Donaumetropole gezogen ist. Zuvor hatte der gebürtige Rumäne in Budapest studiert und war über Bukarest und Klausenburg zunächst an die Volksoper gekommen. Mit seinem lyrischen Timbre wickelt er das verwöhnte Wiener Publikum schnell um den Finger und ist – nach anfänglichen Problemen mit dem Direktor der Staatsoper – ringsum beliebt.

Als Ausgleich zu seiner schweißtreibenden Stimmarbeit entspannt Grozăvescu beim Fußball. Er ist nicht der Einzige. Fußball in den 20er-Jahren ist nicht ausschließlich Arbeitersport. Besonders die Wiener Vereine zelebrieren bürgerliche Lebensart und sehen sich als Teil der Hochkultur: Festbankette, Bälle, Redouten gehören zum Vereinswesen. „Die Violetten repräsentieren eine eigene Marke im Wiener, ja, im österreichischen Fußballleben. Sie waren nie das, was man eine „harte“ Mannschaft nennt, wohl weil ihr Verein lange Zeit in mindestens demselben Maße darauf bedacht war, Gesellschafts- wie Fußballklub zu sein. Die Mehrzahl der Spieler waren Intellektuelle, Studenten und Kaufleute. An der Spitze stand ganz unabsichtlich fast stets ein Doktor oder ein Professor.“, so stellt sich der Amateursportverein, die zukünftige Austria Wien, 1920 selbst vor. Obwohl Rapid sein proletarisches Element vermehrt hervorhebt, zieht auch der Hütteldorfer Klub Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur an. Künstler wie Alfred Polgar, Leo Slezak, Attila Hörbiger gehören zu den regelmäßigen Besuchern in Ober Sankt Veit, Dornbach und auf der Hohen Warte.

Traian Grozăvescus Rapid-Liebling ist Linksaußen Ferdinand Wesely. Der bullige Flügelstürmer ist Freistoß-Kunstschütze und ein technischer Wunderwutzi. Die Bewunderung Grozăvescus für Ferdl übersteigt ein normales Maß an Fanliebe. Sie ist so groß, dass der Tenor für jedes Match immer vier Karten kauft, obwohl in nur Ehefrau Nelly begleitet. Stets sitzen sie auf jener Seite, auf der Wesely 45 Minuten lang zaubert. So wie die Kicker in der Halbzeit Platzhälfte tauschen, setzen sich auch die Grozăvescus nach der Pause um. Traians Augen leuchten: Wie auf der Bühne will er auch auf der „Gstettn“ großes Theater mit feiner Technik sehen. Immer unter der Beobachtung von Nelly.

Sie lässt ihren Mann nicht aus den Augen. So schüchtern und verkniffen wie sie auf jenem Foto wirkt, ist die Wienerin gar nicht. Mühevoll musste sie sich das Ende ihrer ersten Ehe erkämpfen, nachdem sie sich Hals über Kopf auf einem Empfang des rumänischen Konsulats in Traian verliebt hatte. Jetzt wird sie zunehmend von Eifersuchtsanfällen geplagt. Ihr Mann hat viele Verehrerinnen und ist lebenslustig – sie lässt ihn keinen Schritt mehr alleine tun.

Traians Interesse an Rapid ist so groß, dass er sich jedes grün-weiße Endergebnis auf eigene Kosten ins Auslandsengagement nachtelegrafieren lässt. Ein mühevolles Unterfangen in der Telekommunikations-Steinzeit. Steht er in Wien während eines Matches auf der Bühne oder ist mit Proben beschäftigt, schickt er einen Freund zum Kiebitzen nach Hütteldorf. In seiner Wohnung in Wien-Alsergrund wird ihm anschließend jedes Detail der vergangenen 90 Minuten nacherzählt.

1927 soll „Opernkaiser“ Traian wieder einige Zeit von Wien und „seiner“ Rapid getrennt werden. Ein Gastspiel in Berlin steht auf dem Programm. Doch dieses Mal freut sich Grozăvescu auf den Tapetenwechsel: Ehefrau Nelly hat im Jänner eine Totgeburt erlitten und ist noch verstörter und labiler als sonst. Sie fantasierte von einem Verhältnis Traians mit einer Bekannten und beschließt ihn nach Deutschland zu begleiten. Grozăvescu ist damit nicht einverstanden, wenige Stunden bevor der Nachtzug aus Wien abfahren soll, kommt es in der Lerchenfelder Straße zur Katastrophe: Die Eheleute streiten bis die Fetzen fliegen, Traians Schwester Olga versucht sich als Friedensrichterin. Doch auch sie kann nicht verhindern, dass Nelly zum Revolver ihres Mannes greift und diesen in den Hinterkopf schießt. Der Tenor ist auf der Stelle tot. Prophetisch sein letzter Auftritt, nicht einmal 24 Stunden vor seinem Ableben: Als Herzog von Mantua singt er in einer Aufführung von Verdis Rigoletto: „Ach wie so trügerisch sind Frauenherzen…“

In einem aufsehenerregenden Prozess wird Nelly Grozăvescu schließlich des Mordes an ihrem Ehemann freigesprochen: Die Geschworenen konstatieren Unzurechnungsfähigkeit aufgrund der kurz zuvor erlittenen Totgeburt. Sie fährt auf Kur. Der Leichnam Traians wird in dessen Geburtsstadt in West-Rumänien bestattet. Beim nächsten Heimspiel sind die vier Sitzplätze auf der Pfarrwiese leer.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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