Die „trinkfeste“ Legende von der Staatsvertragsunterzeichnung wird seit Mai 1955 in Österreich kultiviert und als sinnbildlich für wirksames Verhandeln auf politischer Ebene angesehen. Die... Anekdote zum Sonntag (24) – Einmal volltanken, bitte!

Die „trinkfeste“ Legende von der Staatsvertragsunterzeichnung wird seit Mai 1955 in Österreich kultiviert und als sinnbildlich für wirksames Verhandeln auf politischer Ebene angesehen. Die zähen Debatten über die Zukunft der Alpenrepublik wurden anno dazumal im Münchner Simplicissimus karikaturistisch aufgearbeitet und Minister Figl sowie Kanzler Raab als vife Verhandler dargestellt, die ihre russischen Gegenspieler beim Heurigen mit Wein einlullten und so zu einer für Österreich günstigen Loseisung von den Besatzungsmächten überredeten.

In meiner Volksschulzeit „verharmloste“ meine Lehrerin die angebliche Transrussische-Heurigenpartie noch zu einer intensiven Diskussion, bei der das rhetorische Geschick der Österreicher zum Erfolg verhalf. Kinder verstehen die Bedeutung von Promille in der Politik noch nicht. Später jedoch klärte mich mein Professor für Geschichte im Gymnasium spöttisch über die wahren Begebenheiten auf: Er bemerkte, dass die politische Freiheit Österreichs einzig und allein der Notwendigkeit eines neutralen Pufferstaates zwischen dem europäischen Ost-West-Gefälle geschuldet war und keinesfalls das Ergebnis romantischer Trinkspiele in Wien-Grinzing. Ob Raab und Figl nun tatsächlich die Nacht mit der russischen Delegation durchgezecht haben und ob sie sich dabei – sei es Österreichs Freiheit an sich oder nur die Streichung der Mitschuld an den NS-Verbrechen – „ersoffen“ haben, werden wir wohl nie erfahren.

Das Schädeldröhnen eines anderen österreichischen Grandseigneurs nach einer feucht-fröhlichen Abendrunde in russischem Ambiente ist jedoch zweifelsfrei bestätigt worden: Ex-Stürmer Josef Uridil fühlte sich nach einem Trink-Intermezzo im fernen Moskau noch einige Tage lang an die Zauberkräfte des traditionsreichen Erdäpfelpagos erinnert. „Pepi, der Tank“, wie er einst aufgrund seines kraftvollen Körpereinsatzes genannt wurde, „tankte“ an jenem trüben Herbstabend nicht nur Mineralwasser.

Mitte der 50er-Jahre gehörte der Wiener auch schon zu den Mittfünfzigern und seine antrittsschnellen Sololäufe waren nur mehr Erinnerungen an jene erfolgreiche Spielerlaufbahn, die Rapid fünf Meistertitel eingebracht hatte. Uridils Fußballsachverstand war jedoch frisch wie eh und je und so saß der einstige Starstürmer nach Lehrjahren im damaligen Jugoslawien, der Schweiz und Deutschland schließlich als Trainer auf der Bank der Hütteldorfer. 1953 werkte auf der Pfarrwiese die wahrscheinlich beste Rapid aller Zeiten: Zeman, Merkel, Happel, Hanappi, Dienst, Probst, die Körner-Brüder, Halla, Gernhardt und Golobic lesen sich wie das Epizentrum österreichischer Fußballkunst nach dem Krieg. In Anbetracht der politischen Lage wurde dieser Auswahl von oberster Stelle nahegelegt im Oktober 1953 eine kurze UdSSR-Tour als Vorbote jeglicher politischer Verhandlungen mit der sowjetischen Besatzungsmacht einzuschieben. Die freundschaftliche Absicht Österreichs sollte in allen Lebensfacetten, auch im Sport, zum Ausdruck gebracht werden.

Die Hütteldorfer flogen also nach Moskau. Das erste Spiel gegen Spartak verlor man zwar deutlich mit 0:4, einen Tag später präsentierte sich die Mannschaft aber ausgezeichnet gegen Dynamo und rackerte einen 2:1-Sieg herbei. Die ansässige Presse war von den Österreichern angetan und auch in der Heimat wurde positiv über den Kurz-Besuch berichtet. Die Mission schien also erfüllt worden zu sein. Die Spieler hatten sich allesamt über die Abwechslung gefreut, selbst wenn das Oktobertrübe Moskau nicht mit den regelmäßig veranstalteten Südamerika-Tourneen mithalten konnte. Nachdem der förmliche Teil nun ad acta gelegt war, wurden die Spieler zum geselligen Beisammensein eingeladen. Die Stimmung war gelöst, die Zapfhähne auch. Zwischen den Gästen und Gastgebern fand ein reger Austausch, begleitet von mehreren geköpften Wodkaflaschen, statt. Trainer Uridil kannte sich mit Alkohol aus. Als Werbestar hatte er schließlich von Bier über Schnaps bis zu Likörbonbons zahlreichen Fusel angepriesen. In Moskau lernte er jetzt das russische „Wässerchen“ kennen und lieben. In der bitterkalten Metropole wurde bis in die frühen Morgenstunden gezecht und nur die wenigstens Rapidler landeten im Bett. Uridil selbst hielt bis zur geplanten Abfahrt zum Flughafen mit. Als es Zeit zum Aufbruch wurde, sah sich der Wiener schließlich nicht mehr in der Lage den Weg zum Bus alleine zurückzulegen. Er musste von zwei Spielern gestützt werden.

Später war schon eine Handvoll Kicker notwendig um den berauschten Coach in die Maschine zu verfrachten. Das Flugpersonal hat wohl selten einen kurioseren Anblick erlebt. Mit beruhigenden Worten geleiteten die Grün-Weißen ihren Chef zu seinem Sitzplatz und schnallten ihn fest. Die Hoffnungen, dass der verehrte Übungsleiter nach diesen Strapazen nun bis Österreich in den Schlaf des Gerechten fallen würde, wurden bald erfüllt: Kaum saß der vollgetankte „Tank“, war er auch schon eingenickt. Wie ein Toter „böselte“ Uridil dahin und auch die Mannschaft, die ebenfalls übernächtig war, konnte sich endlich entspannen.

Tausende Meter über der Ukraine meldete sich bei Uridil aber plötzlich erhöhter Druck in der Blase. Happel und Co. träumten währenddessen Wien entgegen und bemerkten nicht, wie sich ihr Trainer aufzurichten versuchte. Pepi löste den Gurt und stand plötzlich mitten im Flugzeug. „I muas aufs Klo“, brabbelte der gebürtige Ottakringer und ging zielstrebig zur Toilette. Sein ungeschicktes Rütteln an der Lukenschnalle ließ jedoch einige seiner Kicker wachwerden. So manchem, der jetzt die Augen aufschlug, wurde postwendend schlecht: Uridil zerrte nicht an der vermeintlichen Toilettentür, sondern war im Begriff die Bordtür zu öffnen. In seinem kraftlosen Zustand waren seine Bemühungen jedoch glücklicherweise umsonst. Der Wiener wurde auf das richtige Örtchen hingewiesen und stand für den Rest des Fluges unter Aufsicht. Weitere Zwischenfälle blieben den Rapidlern jedoch erspart und so landeten sie ohne weitere Störungen in Wien.

Zu Uridils Glück blieb diese Geschichte lange unter Verschluss – befanden sich doch in der damaligen Rapid-Mannschaft, der vielleicht besten aller Zeiten, nicht nur unglaublich gute Spieler sondern auch gefürchtete Scherzbolde. Eskapaden und Streiche waren beinahe an der Tagesordnung: So zog der „Gschropp“, Gerhard Hanappi, dem schlafenden Hansi Riegler auf einer Bahnfahrt die Schuhe aus und deponierte diese im Gepäcknetz. Riegler lief vor Zorn schnaubend durch den Zug, ohne zu ahnen, dass seine gesuchten „Bock“ friedlich oberhalb seines Sitzplatzes schaukelten. Wer solche Spieler hat, der darf sich auch dann und wann einen zünftigen Abend gönnen.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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