Matthias Sindelar war bestimmt kein gewöhnlicher Fußballer. Er war vielmehr ein Künstler, der sowohl die Technik beherrschte und als auch kreativ zu Werke ging.... Anekdote zum Sonntag (58) – Schweigsame Audienz

Retro Fussball_abseits.atMatthias Sindelar war bestimmt kein gewöhnlicher Fußballer. Er war vielmehr ein Künstler, der sowohl die Technik beherrschte und als auch kreativ zu Werke ging. Wie der Maler seine Farben oder der Musiker sein Instrument benutzt, hatte Sindelar den Ball, dem er sein ganzes Feingefühl widmen konnte. Auf dem Platz war der Blondschopf der perfekte Mittelstürmer, der die ganze Austria-Mannschaft mitriss. Zog er sich sein Trikot aus, zog er sich jedoch auch seinen selbstsicheren Führungsanspruch aus. Abseits des Platzes wirkte er schüchtern bisweilen auch scheu und ließ anderen gerne den Vortritt. Das stellte ihn bisweilen vor Probleme, denn als Sindelar mit der Wiener Austria und dem österreichischen Nationalteam in den 30ern für Furore sorgte, scharten sich die Fans, Journalisten und Experten um den Superstar. Vor und – vor allem – nach dem Spiel sollte der Favoritner Rede und Antwort stehen, eine Aufgabe, die ihm ganz und gar nicht behagte. Er wollte Fußballspielen und nicht darüber reden. Kein Wunder, dass er besonders gern an der Seite seines Freundes Karl „der Blade“ Sesta auftauchte: „Schasti“, das Simmeringer Mundwerk, nahm sich – selbst als er dem englischen König gegenüberstand – kein Blatt vor den Mund, Matthias Sindelar war aus einem anderen Holz geschnitzt.

Lehrspiel der Wiener Austria in Schweden“, titelte eine Tageszeitung. Die Violetten waren zu einem Freundschaftsspiel auf die skandinavische Halbinsel gereist und zeigten den Nordeuropäern wie die „Wiener Schule“ funktionierte. Das Stadion war zu diesem Freundschaftsspiel brechendvoll und es hatte sich auch allerlei Prominenz angesagt, die nun das technisch-perfekte Spiel der Veilchen bewunderte. Denker und Lenker auf dem Feld war natürlich Sindelar: Der „Papierne“ riss die Zuschauer mit, die Einheimischen vergaßen schnell welcher Mannschaft sie die Daumen drückten und zeigten sich ob des drahtigen Blondschopfes und seiner Mannschaft begeistert. Ebenfalls zu Gast war der oberste Fußballfan Schwedens: König Gustav V. Er ließ es sich nicht nehmen nach dem Spiel die Gäste in ihrer Kabine zu besuchen. Mit Hofzeremonienmeister und Entourage schritt seine Majestät in die Katakomben des Stadions und empfing die Spieler zu einer spontanen Audienz. Die Österreicher zeigten sich über den hohen Besuch geschmeichelt und wussten nicht, dass der Monarch eigentlich nur darauf erpicht war Sindelar persönlich die Hand zu schütteln. Endlich standen sich die beiden gegenüber und der (wirkliche) König brachte dem Fußballkönig einige Worte der Bewunderung da. Erstaunt stellte Gustav V. fest, dass der Hochgelobte kaum reagierte. „Motzl“ blieb stumm, einzig auf die Frage, ob ihm Schweden gefalle, presste er ein zaghaftes „Ja“ durch die Lippen. Der Herrscher ging souverän mit der Situation um, war aber doch etwas enttäuscht, dass sich der Superstar nicht in Plauderlaune befand. Dabei galt Gustav V. selbst als zurückhaltend und öffentlichkeitsscheu, er lehnte sogar seine eigene Krönungszeremonie ab. Die Begegnung selbst dauerte nur wenige Minuten, dann war der Monarch auch schon wieder aus der Kabine verschwunden. Sesta und Co. umrankten ihren Stürmer: „Sindi, warum hast denn nix g’sagt?“ Sindelar darauf: „Guat war ma. Aber dass i deshalb gleich a Red‘ halten muss…“ So einfach.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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