In dieser Serie soll es um eine beispielhafte Gegneranalyse gehen. Wie sehen Vorbereitungen im professionellen Bereich aus? Welche Aspekte werden geschildert? Diese Fragen sollen... abseits.at scoutet Sturm Graz (5): Das Umschaltspiel

Taktik, Theorie, TaktikboardIn dieser Serie soll es um eine beispielhafte Gegneranalyse gehen. Wie sehen Vorbereitungen im professionellen Bereich aus? Welche Aspekte werden geschildert? Diese Fragen sollen beantwortet werden. Neben den vielen statistischen- und Videoanalysen gibt es nämlich auch zuhauf reine Textanalysen im Profibereich, mit denen dem Trainer der gegnerischen Mannschaft durch einen Überblick über die grundsätzliche Struktur des Gegners in den vier Spielphasen und bei Standards ein präziser Überblick gegeben werden soll. Meistens wird dies mit einzelnen Erklärungen, gelegentlichen Bewertungen und Ratschlägen garniert, welche das Trainerteam vom Scout erhält und dann bespricht, sowie ins Training implementiert.

Diese Textanalyse nimmt als Beispiel den SK Sturm Graz. Im fünften Teil geht es um die Umschaltmomente. Wie verhält sich das Team nach Ballverlusten? Was tut es nach Ballgewinnen? Wie kontern sie? Diese Aspekte nehmen natürlich Bezug auf die beiden vorangegangenen Artikel.

Umschaltmoment: Defensiv

Wie schon erwähnt ist Sturm relativ schwer auszukontern, weil sie durch drei zurückbleibende Spieler, meistens die Innenverteidiger und einen Außenverteidiger, in der letzten Linie abgesichert sind. Dazu kommt noch einer der Sechser, häufig Offenbacher, direkt davor, wobei das variieren kann – und teilweise bleibt es gar bei einer 3-2-Staffelung, obgleich dann der zweite Außenverteidiger bisweilen aufrücken und das Spiel in die Spitze unterstützen kann.

Die Berücksichtigung der speziellen Eigenheiten der Staffelung in der Offensive ist wichtig bei der Analyse der Möglichkeiten der Grazer im Umschaltspiel. Ein Aspekt ist zum Beispiel das Bilden lokaler Kompaktheiten; Sturm erzeugt im Offensivspiel einzelne engere Räume in den ballnahen Zonen, wo einer der Sechser, der Außenverteidiger und der Zehner in der Nähe des Flügelspielers stehen.

Bei der sofortigen Ballrückeroberung im Gegenpressing gibt es darum kein klares Schema, sondern nur ein loses Grundprinzip, welches sich herauskristallisiert. Meistens sind die ballnahen und offensiven Spieler, die in der Nähe des Gegenspielers Zugriff haben, die einzigen aggressiv pressenden und attackierenden Spieler.

Der Rest steht tief und sichert eher mannorientiert ab, wobei es vereinzelt antizipatives Herausrücken gibt und besonders die Sechser gelegentlich nach vorne rücken, um mögliche Pässe des unter Druck gesetzten Gegenspielers abzufangen. Diese Spielweise im Pressen gegnerischer Kontersituationen zeigt Sturms generelle Ausrichtung fast schon symbolisch: Sie sind stabil, ohne innovativ zu sein, und erzeugen diese Stabilität durch simple Abläufe und viel Absicherung.

Bei schnellen Kontern, welche dieses erste (und kurze) Gegenpressing überwinden, werden sie dann aber schwächer und instabiler in ihren Abläufen. Schafft man es sich von diesem Gegenpressingschema nicht zur Seite oder nach hinten leiten zu lassen und direkt in die offenen Räume am ballfernen Halbraum zu verlagern oder vertikal hinter den Block durchzubrechen, dann haben sie große Probleme im Verschieben. Rückt der Außenverteidiger im Gegenpressing mit in Richtung Ball, öffnen sich hinter ihm Räume. Schafft man es dorthin zu spielen, haben die drei verbleibenden Abwehrspieler Sturms Probleme diesen Raum ordentlich zu versperren.

Geht der Ball auf die andere Seite oder in die Mitte und wird attackiert, dann gibt es Probleme mit dem Druck. Die Abwehrreihe lässt sich lieber zurückfallen, gibt dadurch dem Gegner mehr Zeit und Raum, wodurch bei schnell gespielten Kontern noch immer die Räume für einen Pass hinter die Abwehr gegeben sind, gleichzeitig aber auch kein ordentlicher Druck ausgeübt wird und der Pass dadurch einfacher zu spielen ist.

Allerdings ist dies schwierig sauber zu praktizieren. Das Gegenpressing ist nämlich ziemlich inkonstant; dadurch werden bisweilen nur schlechte Umsetzungen praktiziert, die dann nicht mehr strukturiert bespielbar sind. Teilweise zieht sich der Außenverteidiger sofort zurück oder es läuft nur ein Spieler an, um den Konter zu verhindern. Oder aber sie ziehen sich passiv auf ihre ursprünglichen Positionen zurück.

Letzteres tun sie auch, wenn das erste Anlaufen nicht geklappt hat oder sie keine Chance auf ein erfolgreiches Gegenpressing haben. Dann ziehen sie sich zurück, nehmen ihre ursprünglichen Positionen ein und formieren sich in ihrer ursprünglichen 4-4-1-1/4-4-2-Staffelung.

Ähnlich gut und stabil sind sie im offensiven Umschaltmoment.

Umschaltmoment: Offensiv

Im eigenen Konterspiel haben sie durch das 4-4-1-1 in der tieferen Ausrichtung immer Djuricin als Anspielstation vorne, der direkte lange Bälle behauptet, ablegt und sich teilweise auch direkt aufs Tor ausrichtet und versucht die Flügelstürmer einzubinden. Diese schalten sehr schnell um, bewegen sich direkt nach vorne und Sturm hat dadurch direkt drei Spieler vorne, die jeweils die Breite des Platzes flexibel abdecken oder – nachdem sich Sturm im Konterspiel für eine Seite entschieden hat – ballfern einrücken und sich für Pässe in die Tiefe anbieten können.

Das 4-4-1-1 ist aber besonders interessant für das Konterspiel durch die Rolle und die Fähigkeiten Stankovics.

Die Flügelstürmer erhalten genug Zeit, um aufzurücken. Stankovic ist sehr gut in engen Räumen, was im Umschaltmoment besonders wichtig ist. Er ermöglicht nicht nur die zeitliche Komponente des Aufrückens, sondern bietet auch zusätzliche Passwinkel, weil er sich sogar unter Druck noch drehen und sein Sichtfeld verändern kann.

Phasenweise ist sein Defensivspiel sogar bewusst darauf ausgelegt, dass er nicht direkt die Defensive unterstützt, sondern sich schlichtweg möglichst nahe am Ball positioniert und anspielbar macht. Sichtbar wird dies, wenn er im Defensivspiel keinen Druck ausübt, obwohl er sich im 4-4-1-1 tiefer und nahe am Mittelfeld sowie dem gegnerischen Ballführenden positioniert hat. Stattdessen wartet er die Situation ab, kann sich direkt für einen Pass durch den Balleroberer anbieten, wodurch dieser eine einfache Entscheidung hat, das gegnerische Gegenpressing besser umspielen und natürlich Stankovic ins Spiel bringen kann.

Danach schalten sie schnell nach vorne um und gehen mit den Flügelstürmern nach vorne. Bei zentralen Kontern orientieren sich beide Außenstürmer in den jeweiligen Halbraum, bei Angriffen über die Flügel ist es wie bei normalen Angriffen – ein Flügelstürmer geht diagonal und wird vom Außenverteidiger unterstützt, wobei sie im Umschaltmoment auf der rechten Außenbahn deutlich später nachrücken. Der ballferne Außenstürmer rückt dann ein; einzelne lange Hereingaben kommen sehr früh vom einen Flügel auf den anderen.

Der breitegebende Flügelstürmer auf der einen Seite kann dann direkt von der Seite den Ball hinter die desorganisierte gegnerische Abwehr spielen, Djuricin geht entweder in die Tiefe oder lockt seinen Gegenspieler in eine andere Richtung, wodurch der eingerückte und dynamisch in die Tiefe gehende Flügelstürmer auf der anderen Seite den Ball erhalten kann. So wurde das zweite Tor gegen Red Bull erzielt.

Rene Maric

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