Wer in den 20er-Jahren in Österreich Geschäfte machen wollte, hat sich nicht gerade die leichteste Aufgabe ausgesucht. Inflation und Armut prägten das zwischenkriegszeitliche Leben... Die Anekdote zum Sonntag (5) –  Dolus macht Freude

Retro FußballWer in den 20er-Jahren in Österreich Geschäfte machen wollte, hat sich nicht gerade die leichteste Aufgabe ausgesucht. Inflation und Armut prägten das zwischenkriegszeitliche Leben und nur mit – im wahrsten Sinne des Wortes – Lebensmitteln konnte man gutes Geld verdienen. Vertreiber von „Luxusgütern“ taten sich da deutlich schwerer – Wer gab in diesen Zeiten sein sauerverdientes Einkommen schon für Dinge wie Schuhputzcreme aus? Viele waren froh in der kalten Jahreszeit ihre Füße überhaupt bedecken zu können. Ein gepflegtes Äußeres muss man sich eben erst leisten können.

Unter diesen widrigen Umständen war also bei Schuhcremeerzeugern Kreativität gefragt und tatsächlich rauchte bei Johann „Hansl“ Schmid, den wir in der ersten „Anekdote zum Sonntag“ kennengelernt haben, der Kopf. Der gebürtige Ottakringer verbrachte seinen Arbeitsalltag damals als Verkaufsdirektor des Schuhcreme-Erzeuger Dolus. Obwohl er bereits wochenends bei sämtlichen Heurigen sang, sollte es noch Jahre dauern bis er als „letzter Herr des Wienerliedes“ in der Wein, Weib und Gesangs-Szene Alt-Wiens zum festen Begriff werden sollte. 1926 war Schmid noch mit Leib und Seele Kaufmann und Amateursänger. Gemeinsam mit seinem Chef bastelte der „Herr Direktor“ – wie Schmid ehrfürchtig-liebevoll von vielen Bekannten genannt wurde – an einer Idee: Mit einer Art Tauschgeschäft sollte sich die Firma Dolus sanieren. Mit jeder gekauften Dose erhielt der Kunde Bonusmarken, die er eintauschen konnte: Für fünf Stück gab es da einen Fußball, zehn Stück musste man für ein Brotmesser hinlegen und für fünfundzwanzig Dolus-Marken war sogar ein Kaffeeservice zu bekommen. Viele Familien sollten letztere Anzahl an Marken aber nie erreichen, denn die Kinder interessierten sich nur für den Ball. Eine richtige Lederkugel und kein „Fetzenlaberl“ für den Gassenkick‘ war ein Traum, den sich die meisten sonst nie erfüllen hätten können.

Die Schmid’sche Strategie griff und Dolus verzeichnete Gewinne: Fleißig putzten „die Kleinen“ jedes Paar Stiefel, dem sie habhaft werden konnten um eine nicht versiegende Quelle an Blechdosen gefüllt mit schwarzer, roter und farbloser Paste zu schaffen. Kaum waren fünf Marken beisammen, rasten sie in die Veronikagasse um diese gegen die heißbegehrte Kugel einzutauschen. Schmid war glücklich, doch der Schein trog. Seine Idee war nur ein Strohfeuer gewesen und nach drei Monaten war der Spuk schon wieder vorbei.

Dolus kämpfte erneut ums wirtschaftliche Überleben. Da nutzte der spätere Cafetier Schmid seine Kontakte und baute sein „Bonus-Tausch-System“ aus: Dolus kooperierte mit sämtlichen Praterfamilien und mietete für einen Tag den weltberühmten Vergnügungspark. Am 18. August 1926 öffnete der Stolz der Wiener nur gegen eine Dolus-Marke Eintrittsgeld seine Pforten. Auch bei sämtlichen Vergnügungsbetrieben war als Zahlungsmittel nur ein Bon des Schuhpasten-Herstellers gültig. Als Höhepunkt kickte der Wiener Athletiksport Club (WAC) – damals ein Erstligaverein – gegen einen improvisierten FC Dolus. Als prominentes Aushängeschild dafür hatte „Hansl“ Schmid seinen Freund Josef „Pepi – der Tank“ Uridil „verpflichtet“. Nicht das erste Mal, dass sich der legendäre Rapidstürmer für Werbezwecke einspannen lies: So trugen unter anderem ein Bier und Likörzuckerln seinen Namen. Auch ein ihm gewidmeter Schlager („Heute spielt der Uridil“) untermauert, dass das schusskräftige „Christkindl“ (Geburtstag: 24.12.1895) der erste Star der österreichischen Fußballszene war. Kurz und gut: Der FC Dolus besiegte an diesem Augusttag unter kräftiger Mithilfe seines Ehrengastes den WAC deutlich. Und der Torschütze des 1:0 hieß „Hansl“ Schmid. „Pepi“ hatte seinem Freund einen Treffer aufgelegt. Keine große Sache für Uridil, denn seine Gage bestand sicher nicht aus Dolus-Marken.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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