Der erfolgreichste österreichische Fußballspieler des letzten Jahrzehnts ist im Moment wieder das Gesprächsthema Nummer Eins auf Österreichs Fußballbühne. Paul Scharner, 32-jähriger Neo-HSV-Legionär sorgt, wie... Das Scharner-Portrait: Kultstatus in England, Kopfschütteln in Österreich

Der erfolgreichste österreichische Fußballspieler des letzten Jahrzehnts ist im Moment wieder das Gesprächsthema Nummer Eins auf Österreichs Fußballbühne. Paul Scharner, 32-jähriger Neo-HSV-Legionär sorgt, wie schon des Öfteren in der Vergangenheit, mit eigenwilligen Aktionen für Aufsehen. Paul Scharner ist ein Spieler, der polarisiert. Bei den österreichischen Fußballfans ist er spätestens seit der „Affäre Koller“ verpönt, in England hingegen ein Fanliebling. Spitzname: „Legend“. Doch wie kam es dazu?

Erste Turbulenzen

Schon zu Beginn seiner Karriere im Jahr 2003 geriet Scharner mit seinem ehemaligen Trainer bei Austria Wien, Joachim Löw, aneinander, weil er eine Einwechslung verweigerte. Der Grund: Wie so oft, die Position. Da Scharner lieber im zentralen Mittelfeld als am rechten Flügel spielen wollte, wurde er aussortiert.

Erfolgreiche Zeit in England

Durch diszipliniertes Einzeltraining hielt er sich aber fit und wählte nach einem halben Jahr beim SV Salzburg den Weg über die norwegische Tippeligaen Richtung Premier League. Beim SK Brann Bergen konnte er in 29 Spielen so sehr überzeugen, dass er beim Abstiegskandidaten der Premier League, Wigan Athletic, einen Vertrag angeboten bekam. Bei diesem Verein verbrachte er die längste Zeit als Legionär in England, wobei in allen fünf Saisonen der Abstieg vermieden werden konnte. Bei West Bromwich Albion wurde er aufgrund seiner extrovertierten Art prompt zum Publikumsliebling. Die Fans der „Baggies“ liebten Paul Scharner, den Spieler mit der Nummer 33, da dieser immer wieder mit ausgefallenen Frisuren in den Vereinsfarben, Fragestunden auf „Facebook“ oder anderen außergewöhnlichen Aktionen den Fans sehr nahe stand. Bezeichnend sein Siegestor im Spiel gegen Aston Villa, als er mit einem West-Brom-Logo auf einem T-Shirt unter dem Trikot posierte, und so seine Verbundenheit zum Verein demonstrierte. Aufgrund von Verletzungen und Problemen mit Trainer Roy Hodgson, jetziger Teamchef Englands, kam er in der vergangenen Saison aber nur spärlich zum Einsatz. Umso schmerzvoller war der Abschied am Ende der Saison, als der Klub seinen Vertrag nicht mehr verlängern wollte, obwohl 91% der Fans bei einer Umfrage für den Verbleib des Österreichers stimmten.

Beachtliche Visitenkarte

Solch eine Karriere war im letzten Jahrzehnt einzigartig für einen österreichischen Fußballprofi, da er Woche für Woche um einen Stammplatz kämpfte, und sich in Spielen gegen Topklubs beweisen musste. Am Ende kann Scharner als Defensivspieler 207 Ligaspiele sowie 21 Torerfolge in England auf seinem Konto verbuchen. Dazu zählen Tore gegen Arsenal (unter anderem das 1:0-Goldtor im Hinspiel des League Cup 2006, in welchem man das Finale erreichte), Manchester United, FC Chelsea (je ein Tor), oder ein Doppelpack gegen Everton (2:2). Seine Leistungen sind als Österreicher einmalig, diese wurden jedoch aufgrund von mangelnder Berichterstattung bzw. dem geringen Stellenwert der englischen Premier League in Österreichs Medien (etwa im Vergleich zur deutschen Bundesliga) nur wenig Beachtung geschenkt.

Das Kapitel Nationalteam

Im Nationalteam kam er lediglich zu 40 Einsätzen und keinem Torerfolg (in Erinnerung bleibt etwa ein leichtsinnig vergebener Elfmeter gegen Kamerun). Ein Mitgrund dafür war der Rücktritt aus dem Team im August 2006 unter Josef Hickersberger, wodurch er auch nicht bei der EURO 2008 im Großkader aufschien. Damals warf Paul Scharner dem ÖFB fehlende Professionalität bzw. Strukturen vor. Erst Nachfolger Karel Brückner setzte wieder auf ihn. Als Kapitän sorgte er beim denkwürdigen 4:4 in Belgien mit der ersten roten Karte seiner Profikarriere durch einen Kopfstoß für viel Unmut. Aussagen über Marko Arnautovic waren ebenfalls nicht positiv für sein Image in heimischen Gefilden.

Erinnert man sich an einen TV-Auftritt bei „Sport am Sonntag“, bei dem Scharner für gute Stimmung und Optimismus im Bezug auf die Qualifikation für die WM 2014 in Brasilien sorgte und betonte, dass diese für ihn sehr wichtig wäre, waren die aktuellsten Vorfälle sehr fragwürdig. Nach seiner vorzeitigen Abreise aus dem Teamcamp, gewollt oder nicht, wird er dem österreichischen Nationalteam nicht mehr weiterhelfen können – und auch nicht dürfen. Fehlende Wertschätzung von Teamchef Koller bzw. keine adäquate Erklärung warum er nicht in der Innenverteidigung eingesetzt wird, veranlassten Scharner zu scharfer Kritik gegenüber Koller und dem ÖFB. Seine Aussage, dass er „immer bereit stehe, zu jeder Zeit“ hat das ÖFB – Präsidium schon vorzeitig auf Eis gelegt. Dieses entschied nämlich, dass Paul Scharner nie wieder in das Nationalteam einberufen wird, unabhängig davon, welcher Trainer das Team betreut. Ob Paul Scharner einsieht, dass seine Kritik überzogen und ein unnötiger Schnellschuss war bzw. er damit Österreich nicht weiterhilft, bleibt abzuwarten.

Paul Scharner war in den letzten Jahren ohne Zweifel Österreichs schillerndster Fußballprofi im Ausland und für lange Zeit unser Aushängeschild in einer der stärksten Ligen der Welt. Seine geradlinige Art, seine oft unüberlegten Aktionen sowie sein lockeres Mundwerk sorgten in Österreich sehr oft für Kopfschütteln. Diverse Vorfälle im Nationalteam machten ihn außerdem für viele sehr unsympathisch. Doch sein Charakter brachte ihm auch sehr viele Fans, hauptsächlich aber in England. Sportlich schaffte er aufgrund von Selbstdisziplin und Risikobereitschaft als einziger Österreicher den dauerhaften Sprung nach England. Dort ist Paul Scharner noch immer eine Kultfigur, in Österreich wird er das im positiven Sinn wohl nie werden.

David Ryborz, abseits.at

David Ryborz

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