Der FC Bayern führte im Champions-League-Finale jede denkbare Statistik an, hatte weitaus mehr Torchancen und Eckbälle als die Londoner, spielte um 149 Pässe mehr,... Wie ein engagierterer Jerome Boateng das Spiel des FC Bayern grundlegend verändert hätte

Der FC Bayern führte im Champions-League-Finale jede denkbare Statistik an, hatte weitaus mehr Torchancen und Eckbälle als die Londoner, spielte um 149 Pässe mehr, brachte zudem mehr davon an den Mann. Sky-Kommentator Marcel Reif und sein „Co“ Stefan Effenberg bemerkten während des Spiels, dass die Abstände beim FC Chelsea zu groß sind und deshalb kein flüssiges Spiel zustande kommen würde. Damit haben die Experten zwar Recht, aber auch die Bayern wurden durch eine bestimmte Personalie daran gehindert, noch gefährlicher zu werden.

Didier Drogba allein auf weiter Flur. Auf den ersten Blick hatte man den Eindruck, dass der FC Chelsea Kick & Rush Situationen sucht, um die individuelle Klasse von Didier Drogba auszunützen. Die Abstände zwischen der Viererabwehrkette und dem vordersten Mittelfeldspieler (in der Grundausrichtung war dies Juan Mata) waren in Ordnung, zwischen dem defensiv ausgerichteten Mittelfeld und Drogba klaffte jedoch ein großes Loch und so war es schwierig für die Engländer effizient nachzuschieben.

Aktiver Tymoshchuk

Allerdings waren die Abstände zwischen dem defensivsten und offensivsten Chelsea-Spieler praktisch dieselben, wie auf Seiten der Bayern. Den offensiven Unterschied zwischen den beiden Innenverteidigungen machte der Ukrainer Anatoli Tymoshchuk, der immer wieder versuchte sich ins Spiel einzubringen, das Spiel von hinten heraus aufzubauen. Dabei war augenscheinlich, dass der 33-Jährige eigentlich kein typischer Innenverteidiger, sondern ein defensiver Mittelfeldspieler ist. Der Hang zur Position schlug sich über die vollen 120 Minuten im Spiel des Defensivmannes nieder und Tymoshchuk spielte eine gute Partie mit 90 Ballkontakten und fünf Beteiligungen an Torchancen.

Chelseas Abwehr sicher, Boateng zu defensiv

In Chelseas Innenverteidigung gab es diese Offensivbestrebungen nicht. Cahill stand bombensicher, David Luiz spielte einfach und versuchte keine Wunderdinge. Defensive war Trumpf. Die Bayern verkannten jedoch einen wesentlichen Faktor im Positionsspiel: Jerome Boateng, der sich weitgehend um Didier Drogba kümmern musste, hatte auf dem Feld – obwohl die Bayern das klar tonangebende Team waren – im Durchschnitt beinahe dieselbe Feldposition wie die beiden Chelsea-Innenverteidiger.

Wäre Boateng offensiver gewesen, dann…

Während Tymoshchuk immer wieder nach vorne verschob, rührte sich Boateng aufgrund der Gefährlichkeit Drogbas nur selten vom Fleck. Hätte Boateng seine Grundposition allerdings auch höher gewählt, hätte er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.

  • Hätte Boateng im Durchschnitt auf derselben Höhe gespielt wie Tymoshchuk, hätte sich das gesamte Spiel der Bayern um einige Meter weiter nach vorne verlagert. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Kroos und Schweinsteiger sich in der Zentrale stärker in die Breite entfalten und als weitere Konsequenz Mario Gomez viel häufiger in die unmittelbare Gefahrenzone vorstoßen könnte. Gomez war am Ende im Durchschnitt „defensiver“ als Robben und Müller.
  • Die Dreieckbildung im Mittelfeld (in der gegnerischen Hälfte!) wäre einfacher vonstattengegangen – doch so war auch Contento gezwungen verhältnismäßig defensiv zu agieren, um etwaige schnelle Gegenstöße von Chelsea zu verhindern. Die Außenverteidiger litten allgemein unter dem zu tiefen Schwerpunkt des Bayern-Aufbauspiels. Die Abstände zu den offensiven Mittelfeldspielern waren zu groß und so wurde es vor allem Ribery und Robben etwas erschwert „direkt gefährlich“ zu sein.
  • Defensiv hätten die Bayern den Vorteil gehabt, dass Drogba noch weiter vom gegnerischen Tor ferngehalten worden wäre. Zudem hätte mehr Symmetrie in der Grundausrichtung der Innenverteidiger (der durchschnittliche Abstand zwischen Tymoshchuk und Boateng in der Tiefe betrug zwischen 5 und 10 Metern!) systematische Abseitsfallen erleichtert.

Tymoshchuk – Boateng 90:59

Boateng brachte 90% seiner Pässe an – und damit um 5% mehr als Tymoshchuk. Man muss jedoch betrachten welche Pässe dies waren. Während Tymoshchuk im Aufbauspiel sehr engagiert war, ging Boateng eher mit der Maxime ins Spiel, Drogba neutralisieren zu müssen und alles andere würde sich dann ergeben. Dies belegt auch, dass Tymoshchuk den Ball 31-mal öfter berührte als Boateng. Doch im modernen Fußball hat bereits eine Verfehlung im Positionsspiel der Defensive  Auswirkungen auf die gesamte Offensive. Hätte Boateng sich ähnlich am Spiel beteiligt wie Tymoshchuk, hätte dies keine grundlegende Schwächung der Defensive bedeutet, dafür aber das gesamte Mittelfeld, die Außenverteidiger und Speerspitze Mario Gomez in eine bessere Lage gebracht.

Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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