Viel Kritik wurde an Pep Guardiola in den letzten Wochen laut. Zu unflexibel und dogmatisch sei das Spiel der Bayern, so heißt es aus... Bayern München in der Krise (1)  – Die grundlegende Spielweise und die strategischen Anpassungen

Pep Guardiola (FC Bayern München)Viel Kritik wurde an Pep Guardiola in den letzten Wochen laut. Zu unflexibel und dogmatisch sei das Spiel der Bayern, so heißt es aus (vermeintlichen) Expertenkreisen und den Mainstreammedien weitestgehend einheitlich. Teilweise wurde sogar schon der Ballbesitzfußball als solcher und als strategisches Konzept in Frage gestellt, ohne auf die genaue taktische Umsetzung dieses Spielstils oder die spezifischen Besonderheiten der Münchner sowie ihrer Gegner zu achten.

Darum soll in diesem dreiteiligen Artikel die Krise der Bayern genauer diskutiert werden. Im ersten Teil geht es hierbei um die grundlegende Spielweise des deutschen Rekordmeisters in Ballbesitz und die vielfältigen strategischen Anpassungen Guardiolas zur Untermauerung seiner Flexibilität. Beim zweiten Teil dreht sich das meiste um die spezifischen Ursachen für ihre jeweiligen schwächeren Partien und Teil Drei ist eine Zusammenfassung nicht-taktischer Ursachen mit einer kurzen abschließenden Betrachtung, inwiefern die Spielweise der Münchner und das diesjährige Scheitern als grundsätzliche Kritik am Ballbesitzfußball als Spielphilosophie anwendbar ist.

Dabei starten wir im ersten Teil mit der für Guardiola sogar unüblichen fokussierten Einbindung bestimmter Zonen.

Flügelorientierung im Kombinationsspiel

Normalerweise gilt die Mitte als die strategisch wichtigste Zone im Fußball; auch für Guardiola beziehungsweise grundlegend für die Spielphilosophie vom FC Barcelona, wo dieser Umstand schon in der Jugendakademie La Masia gelehrt wird.

„Wer das Zentrum kontrolliert, kontrolliert das Spiel“ – Pep Guardiola

Indem man die Mitte dominiert, schließt man dem Gegner nicht nur die tornächste Zone, sondern drängt ihn auch zur Seitenlinie, welche Guardiola einst als den „besten Verteidiger“ bezeichnete. Dieser hohe Fokus auf die Mitte und insbesondere diese Aversion gegenüber der Außenlinie hat Guardiola aber bei den Bayern etwas abgelegt. Zwar kontrollieren die Münchner nach wie vor das Zentrum in fast jeder Partie, aber bei eigenem Ballbesitz visieren sie eher die Flügel zum Angriffsaufbau an.

Die Mitte bleibt natürlich immer besetzt und ist eine Option zum Verlagern oder auch zum Einleiten von Angriffen, die meiste Verantwortung in puncto Kreativität und Erzeugen von Torgefahr tragen aber eher die Außenspieler. Während bei Guardiolas Barcelona Xavi, Messi, Iniesta und mit Abstrichen Busquets dafür sorgten, dass schnelle Kurzpasskombinationen für Raumgewinn und Abschlüsse sorgten, machen dies bei den Bayern jetzt vermehrt Robben, Ribéry, Lahm und Alaba. Einzig Thiago wird im Zentrum wirklich auch konstant und bewusst als kreative Anspiel- und Abspielstation genutzt, doch selbst der Neuzugang aus Barcelona spielte in einigen Partien als linker Flügelstürmer.

Somit wird zwar viel über die Sechser und Innenverteidiger in der Mitte zirkuliert, doch aus der Mitte kommen die Pässe auf den Flügel beziehungsweise auf die in den Halbraum eingerückten Flügelstürmer und Außenverteidiger, welche dann erst tororientiert spielen. Beim FC Barcelona unter Guardiola war dies zumindest ab 2010 umgekehrt. Interessant ist jedoch, wie Guardiola die Verbindung aus Zentrumsbesetzung und –kontrolle sowie einem hohen Flügelfokus erledigt.

Dass dies ins Auge gehen kann, zeigte sich allerdings auch in den Spielen gegen Manchester United und Real Madrid, wo die Flügel isoliert und zur Ineffizienz verurteilt wurden. Alles in allem ist es aber eine grundsätzlich gute Anpassung an den Münchner Kader und zeigt Guardiolas Anpassungsfreudigkeit. Ähnliches sieht man auch im Pressing der Bayern, wo sich der katalanische Erfolgstrainer ebenfalls etwas an den Kader der Bayern angepasst hat.

Tieferes Pressing und stärkere Nutzung der Physis in vielen Spielphasen

Guardiolas Flexibilität zeigt sich auch im Pressing; gab es besonders Ende Herbst viele Spiele der Bayern, wo sie enorm hoch und aggressiv mit vielen Akteuren vorne pressten, hatten sie in anderen Partien eine deutlich tiefere und konservativere Ausrichtung. Teilweise sah man sie sogar in einem Abwehrpressing für kurze Phasen sowie mit einer grundlegenden Ausrichtung in einem Mittelfeldpressing.

Dabei wurde auch die  geometrischen Aspekte in puncto Formation und Abläufe immer wieder verändert. Manchmal wurde im  4-4-1-1 gepresst, nur um im kommenden Spiel auf ein 4-1-4-1 umzustellen, in welchem die Zuordnung der Flügelstürmer ebenfalls flexibel war. Diese hatten einige Male eine leicht mannorientierte Ausrichtung auf den gegnerischen Außenverteidiger, aber pressten auch häufig auf den gegnerischen Außenverteidiger und öffneten hierbei die Flügel.

Die Kernfrage dahinter lautet allerdings, ob Guardiola das Pressing wirklich gegnerspezifisch wechselte oder ob es sich hier um personelle Anpassungen handelte. Beim FC Barcelona hatte Guardiola in seinen ersten ein bis zwei Jahren ebenfalls immer wieder eine tiefere Ausrichtung in einzelnen Spielen gewählt, doch im dritten Jahr wurde dann eigentlich in nahezu jeder Partie durchgehend hoch gepresst. Der Konsens der meisten Beobachter lautete, dass Guardiola zuerst die Abläufe perfekt automatisieren wollte, bevor das extreme Pressing ununterbrochen genutzt werden konnte. Die kommende Entwicklung beim FC Bayern ist somit überaus interessant zu beobachten.

Ein anderer Aspekt dürfte jedoch nicht dem des FC Barcelona ähneln: Die Physis, die im Pressing genutzt wird, variiert eindeutig. Zwar spielten die Bayern in der vergangenen Saison noch körperbetonter, aber das Beibehalten dieser Komponente ist in den Zuordnungen im Pressing, beim Verschieben und in der Zweikampfführung nach wie vor zu sehen. Das erzeugt mehr Intensität in tiefen und kompakten Stellungen sowie eine bessere Strafraumverteidigung, im Konterspiel ist man jedoch in Relation zum Ballbesitz etwas anfälliger geworden. Zwar versucht Guardiola auch hier entgegenzuwirken, die Balance stimmt allerdings noch nicht gänzlich.

Raumgreifende Zirkulation und ein höherer Ballfokus als Absicherung

Im Ballbesitzspiel agieren die Münchner ebenfalls leicht paradox und angepasst an ihr Spielermaterial: Sie haben selten ein konstant kurzes Kombinationsspiel, stattdessen sind ihre Pässe eher mittellang, überspringen auch oft eine Zone, anstatt in dieser zu kombinieren, und auch lange Verlagerungen oder hohe Bälle in die Spitze sind ein häufig gesehenes Mittel. Alleine der mehr oder weniger sichere Stammplatz von Mario Mandzukic in den großen Spielen zeigt diese Ausrichtung. Gleichzeitig versuchen sie dennoch den Ball länger in ihren Reihen zu halten, spielen dann viel über offene Ausweichzonen, beispielsweise über Pässe nach hinten zu den Innenverteidigern oder Torwart Manuel Neuer, verlagern dann die Seite und zirkulieren hin und her.

Auch hier ist der FC Barcelona unter Guardiola durchaus ein passender Vergleich mit anderer Spielweise. Bei den Katalanen war der Ballbesitz nicht ganz so hoch (statistisch gesehen in drei der vier Saisonen unter Guardiola gar niedriger), aber an sich wirkten sie deutlich mehr wie eine Ballbesitzmannschaft und „Tiqui Taca“, da sie auch in engeren Räumen mit kurzen Pässen hantierten. Guardiola dürfte wohl damit auch probieren die etwas weniger wendigen Spieler der Bayern wie Schweinsteiger, Kroos und Co. besser in diese Spielweise einzubinden, ihre Physis und auch spielerische Qualität zu nutzen, ohne ihre Schwächen im kleinräumigen Bewegungsspiel offenzulegen.

In den meisten Partien funktionierte das ebenfalls außerordentlich gut. Problematisch wurde es allerdings:

  • Bei enorm konterstarken Gegner wegen des damit verbundenen unbeständigen Gegenpressings (größere Abstände entsprechen einer längerer Dauer zum erfolgreichen Anlaufen in der Ballrückeroberung).
  • Bei sehr kompakten Gegnern wegen des Herausdrängens aus der gegnerischen Formation (kein Nadelspieler als Raumöffner im Zentrum vorhanden).
  • Bei  rhythmisch wechselndem Pressing des Gegners (mangelnde Komplettheit in der Rhythmuskontrolle).
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Im zweiten Teil werden wir sehen, dass in der schwächeren Phase diese Problemfelder gegen mehrere Mannschaften auftraten.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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