Nach beinahe zwei Jahren wurde Jens Keller als Trainer des FC Schalke 04 entlassen. Durchgehend stand der Coach in diesen beiden Jahren in der... Di Matteo statt Keller (2) – Die mögliche Entwicklung Schalkes unter Roberto di Matteo

Italien - FlaggeNach beinahe zwei Jahren wurde Jens Keller als Trainer des FC Schalke 04 entlassen. Durchgehend stand der Coach in diesen beiden Jahren in der Kritik und galt ohnehin als Wackelkandidat; Präsident Clemens Tönnies sprach sogar davon, dass er ohnehin im Sommer gegangen worden wäre. Zwar hatten die Schalker vergleichsweise gute Resultate unter Keller (sie wurden Vierter und Dritter), aber dennoch ist die Entlassung verständlich. Sogar zu diesem Zeitpunkt. Die Wahl des Nachfolgers hingegen ist durchaus diskutabel. In dieser zweiteiligen Serie lassen wir zunächst die Ära Jens Keller Revue passieren und blicken dann auf die mögliche Entwicklung unter Roberto di Matteo.

Ein Champions-League-Sieger in Gelsenkirchen

2012 schaffte Roberto di Matteo die Sensation: Mit dem damals nach der Entlassung André Villas-Boas‘ kriselnden Chelsea FC konnte er überraschend ein 1:3 im Hinspiel gegen den SSC Neapel durch ein 4:1 im Rückspiel drehen; die Niederlage fiel noch unter die Ära Villas-Boas. Im Viertelfinale wurde Benfica besiegt, bevor di Matteo mit einem defensiven Bollwerk Topfavorit FC Barcelona ausschalten und im Finale gegen Gastgeber Bayern München im Elfmeterschießen die Champions League gewinnen konnte. Desweiteren holte di Matteo den FA-Cup und konnte als „erfolgreichster Interimstrainer“ somit in wenigen Monaten zwei Titel holen, bevor sein Vertrag im Juni verlängert wurde.

Nach wenigen Monaten in der neuen Saison wurde di Matteo Ende November 2012 entlassen. Es war seine zweite Entlassung in seiner Karriere, nachdem er bei West Bromwich Albion zuerst den Aufstieg in die Premier League erfolgreich gestaltete, danach aber in der Premier League nach gutem Saisonstart in eine Krise geriet und gefeuert wurde. Jetzt stellt sich di Matteo mit einem Aufstieg bei West Bromwich, zwei großen Titeln bei Chelsea und einem Fast-Aufstieg bei seiner ersten Trainerstation, den Milton Keynes Dons, und einer fast zweijährigen Pause der Herausforderung Schalkes. Bis Juni 2014 erhielte er übrigens 164.000€ pro Woche von Chelsea, weil er nach wie vor auf deren Gehaltsliste stand.

Langfristige Probleme in der taktischen Balance?

In Anbetracht seiner Vita stellt sich die Frage, ob di Matteo langfristig eine funktionierende Mannschaft aufbauen kann, die in sämtlichen Spielphasen passend agiert. Bei Chelsea hatte er Erfolg, als er in einzelnen Spielen extrem offensiv und druckvoll agierte oder sich in größeren Spielen sehr passiv und tief positionierte; gegen Bayern spielte man im CL-Finale 2012 mehr oder weniger in einem 6-3-1 und konzentrierte sich komplett auf die Sicherung des eigenen Strafraums. Ein herausragendes Konterspiel, intelligente Flexibilität innerhalb eines Spiels oder eine gute Absicherung und ein passendes Positionsspiel bei sehr offensiver Ausrichtung konnte er bislang nicht nachweisen.

Di Matteo versuchte nämlich zur Saison 2012/13 nach dem CL-Sieg eine sehr offensive Spielweise zu installieren, welche quasi einem 4-2-3-1/4-2-4 mit freier Positionswahl der vier Offensivspieler entsprechen sollte. Die einrückenden Bewegungen der Flügelstürmer und der Fokus auf schnelle Durchbrüche mit schnellem Kombinationsspiel wurden nicht ordentlich abgesichert, das Gegenpressing funktionierte nicht beziehungsweise wurde nicht genutzt und der Offensive mangelte es ebenfalls an Struktur.

Darum wird wichtig, was di Matteo bei Schalke probieren wird. Seine ersten Aussagen deuten auf zwei größere Fokuspunkte in der Trainingsarbeit hin.

Fokus auf die Defensive

In einer seiner ersten Pressekonferenzen sprach der italienische Trainer davon, dass die Offensive Schalkes bereits gut funktioniere, das Defensivverhalten noch Arbeit benötigt. Es ist gut möglich, dass di Matteo insbesondere an der Sauberkeit der gruppentaktischen Abläufe arbeiten möchte und auch die Kompaktheit des Kollektivs zu verbessern wünscht. Schalke ist häufig im Pressing nicht effektiv, weil die Abstände zu groß sind und der Gegner sich dadurch entweder aus dem Pressing befreien oder gar nicht in größere Drucksituationen kommt. Auch das Verschieben und das Herausrücken aus der Kette bei den Defensivspielern funktioniert nicht harmonisch und könnte für di Matteo einer der wichtigsten Punkte sein, an denen gearbeitet werden soll. In der Champions League und gegen die individuell ebenbürtigen Gegner in der Bundesliga könnte also eine sehr defensive und konterorientierte Spielweise unter di Matteo zu erwarten sein.

Allerdings möchte di Matteo nicht nur explizit an der Abwehr arbeiten, sondern auch eine neue Formation als Fundament für eine andere Spielweise implementieren.

Ein 4-3-3 als Alternativformation

Di Matteo möchte ebenfalls mit einem 4-3-3 als Alternative zum 4-2-3-1 auflaufen können und hat dies als ein weiteres Ziel für die nächsten Monate hervorgehoben. Die Frage ist, ob diese Formation eher ein 4-1-4-1 oder 4-5-1 für defensive Aufgaben darstellen wird, oder eher als klassisches offensives 4-3-3 genutzt werden soll. Mit Eric Maxim Choupo-Moting, Sidney Sam, Julian Draxler, Tranquillo Barnetta und Jefferson Farfan gibt es viele Optionen für die Flügelstürmerpositionen. Maximilian Meyer, Kevin-Prince Boateng, Leon Goretzka, Roman Neustädter, Marco Höger und Kaan Ayhan können die Mittefeldzentrale bilden.

Generell wirkt dieses 4-3-3 ausgesprochen variabel und bindet viele Spieler potenziell herausragend ein; Neustädter als alleiniger Sechser hinter Goretzka und Meyer wirkt ausgesprochen spielstark, mit Choupo-Moting, Sam und Draxler könnte man sogar ohne Mittelstürmer Klaas-Jan Huntelaar in der Sturmspitze technisch extrem versiert auflaufen.

Fazit

Grundsätzlich wirkt die Verpflichtung Di Matteos hochinteressant. Korrigiert er die strategischen und gruppentaktischen Defensivprobleme der Schalker und kann intelligent zwischen 4-3-3 und 4-2-3-1 je nach Gegner wechseln, so dürfte er taktisch eindeutig eine Steigerung zu Keller sein. Doch die Probleme bei Keller waren wie im ersten Teil bereits erwähnt auch auf dem Trainingsplatz zu suchen. Di Matteo soll ähnliche Probleme in der Trainingsarbeit haben, die Spieler zu lange fordern und nicht die nötigen Ruhezeiten geben, wodurch die Verletzungsmisere bei den Königsblauen weitergehen kann. Allerdings ist fraglich, wie sich di Matteo in seiner Ruhepause fachlich weiterentwickelt hat; eine abschließende Bewertung ist also nicht möglich.

Einen relativ sicheren Vorteil gegenüber Keller dürfte di Matteo aber haben: Dem ehemaligen Schalker Trainer wurden Mängel in puncto Mannschaftsführung und Autorität nachgesagt, welche di Matteo als neuer, externer Trainer und mit seinem Standing durch den CL-Sieg nicht haben sollte. Es ist also eine durchaus nachvollziehbare Verpflichtung der Schalker, obgleich einige Fragezeichen hinter der Person di Matteo stehen.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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