Für Fans von Borussia Mönchengladbach war das letzte Weihnachten wohl das schlimmste, das sie je erlebten. Zehn Punkte zur Winterpause bedeuteten die schlechteste Hinrunde... Gladbach unter Lucien Favre – so wurde die beste Hinrunde seit 35 Jahren möglich (Teil 1)

Für Fans von Borussia Mönchengladbach war das letzte Weihnachten wohl das schlimmste, das sie je erlebten. Zehn Punkte zur Winterpause bedeuteten die schlechteste Hinrunde der Vereinsgeschichte. Zwölf Monate später sieht die Sache ganz anders aus. Zur Saisonhalbzeit liegen die Fohlen mit 33 Punkten auf einem Champions-League-Qualifikationsplatz und blicken auf die beste Herbstsaison seit 35 Jahren zurück. Dabei gelang der Wandel ohne große Investitionen und Neuzugänge. abseits.at wirft einen Blick auf die Maßnahmen, mit denen Lucien Favre der Borussia wieder zu altem Glanz verhalf.

Als der Schweizer im Februar dieses Jahres den damaligen Tabellenletzten übernahm schien die Lage aussichtslos. Zuzüglich der sieben Punkte Rückstand auf das rettende Ufer war der Traditionsverein die Schießbude der Liga, wies bei 54 Gegentoren ein Torverhältnis von minus 24 auf. Der Ansatz des Defensiv-Apostels war klar. Die oberste Priorität war die Hintermannschaft zu stabilisieren und der gesamten Mannschaft Vertrauen zu schenken.

Defensivstütze I: Marc-André ter Stegen

Ganz viel davon bekam der damals 18-jährige Tormann Marc-André ter Stegen. Am 29. Spieltag der Vorsaison debütierte er ausgerechnet im rheinischen Derby gegen den 1. FC Köln. In den verbliebenen acht Spielen bis zum Saisonende musste der ehemalige U17-Europmeister nur vier Mal hinter sich greifen, brachte dabei unter anderem die Glanz-Offensive des Meisters zum Verzweifeln und hielt auch gegen Borussia Dortmund die Null. Der starke Trend sollte sich in der aktuellen Saison fortsetzen, mit dem großen Highlight des Auftaktsiegs in der Allianz Arena gegen Ligakrösus Bayern München.

Dabei bestach der selbstbewusste Schlussmann nicht nur mit starken Paraden sondern auch durch bärenstarkes Herauslaufen und fußballerische Fertigkeit. Besonders wegen dieser Fähigkeiten steht der 19-Jährige bei Trainern und Experten hoch im Kurs. „Marc ist das beste Beispiel für die neue glänzend ausgebildete Keeper-Generation. Er ist beidfüßig sicher, antizipiert lange Bälle, beherrscht den kompletten Strafraum, hat eine positive Ausstrahlung auf die Hintermannschaft und dirigiert sicher“, sieht etwa Deutschlands Tormanntrainer Andreas Köpke im Kahn-Ochs-Double einen potentiellen Nationalkeeper.

Defensivstütze II: Die Innenverteidigung

Mit Sicherheit hat ter Stegen einen großen Anteil daran, dass er in der Bundesliga noch nie mehr als zweimal innerhalb eines Spiels bezwungen wurde und Gladbach mit nur elf Gegentoren die zweitbeste Ligadefensive stellt. Ein wesentlicher Bestandteil ist aber auch die Innenverteidigung vor ihm, die in der Regel vom Brasilianer Dante und ÖFB-Legionär Stranzl gebildet wird. Mit diesem Duo verlor der fünffache deutsche Meister nur neun von insgesamt 23 Spielen. Der 28-jährige Dante, der sich nach geschafftem Klassenerhalt von seiner Kult-Frisur trennen musste, zählt seit drei Jahren zu den Leistungsträgern und verzeichnet mit seiner kompromisslosen Zweikampfführung ligaweite Spitzenwerte.

Umso überraschender ist es, dass der Österreicher laut Statistik eine bessere Zweikampfquote hat – 67,9 zu 63,1. Fairerweise muss man dazusagen, dass Stranzl dabei zweikampfintensive Begegnungen, wie zum Beispiel gegen Bayern München oder Schalke 04, wegen Verletzungen verpasste. Vertreten wurde er jeweils von Routinier Roel Brouwers. Der langjährige Stammspieler erwies sich als erstklassiger Ersatz und bekam durch die Bank gute Kritiken, zog sich allerdings auch ohne Murren ins zweite Glied zurück. Nicht umsonst genießt „Mr. Zuverlässig“ Brouwers höchste Wertschätzung bei Fans und Verantwortlichen der Borussia. „Ich denke jeder weiß, was wir an ihm haben. Wir sind alle sehr glücklich, dass wir ihn in der Mannschaft haben“, lobt ihn Teamkollege ter Stegen. „Roel ist immer da, wenn er gebraucht wird. Gerade in der Zeit, wo ein Abwehrspieler ausfiel, hat er für uns sehr gute Spiele gemacht. Er strahlt in dem, was er macht, eine unglaubliche Ruhe aus. Er ist in der Abwehr auf jeden Fall ein Ruhepol“, so Gladbachs Nummer eins weiter.

Daems und Jantschke – unauffällig aber solide

Die Außenbahnen der Viererkette werden von Kapitän Filip Daems und Youngster Tony Jantschke besetzt. Unermüdlich marschieren die beiden die Linie auf und ab und halten dabei den Flügelspielern den Rücken frei. Vor allem von Rechtsverteidiger Jantschke hält Favre viel. „Tony ist ein junger und sehr guter Spieler, der taktisch sehr intelligent ist“, lobt der Schweizer den U21-Nationalspieler, der zwar bereits 2008 unter Hans Meyer als 18-Jähriger in Bundesliga debütierte, den Durchbruch aber erst unter dem aktuellen Trainer schaffte. Am 23. Spieltag der vergangenen Saison beorderte ihn Favre gegen Hoffenheim in die Startelf um das damals große Außenverteidiger-Problem zu beheben – eine ähnlich heikle Entscheidung wie jene auf der Torhüter-Position, die ebenfalls gut ging. Jantschke spielt nicht spektakulär, sondern schlau, gerät nicht in Panik und löst vieles fußballerisch – Eigenschaften, die sich auch auf Daems auf der gegenüberliegenden Seite übertragen lassen. Zudem gilt der Belgier, der 2005 aus Ankara von Genclerbirligi S.K kam, als ähnlich zuverlässig wie Brouwers und kann ebenfalls in der Innenverteidigung eingesetzt werden. „Filip ist unser Kapitän und ein 100-prozentiger Profi. Er strahlt allein durch seine Person Souveränität aus“, ist Sportdirektor Max Eberl vom 33-Jährigen überzeugt. Auch Favre findet für den nominellen Elfmeterschützen ausschließlich lobende Wort: „Seit ich bei Borussia bin, hat er gut gespielt und sehr wenige Fehler gemacht.“

Neustädter und Nordtveit sorgen früh für Entlastung

Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Doppelsechs vor der Abwehr. Dort agieren mit Neustädter und Nordtveit zwei „Unsung Heroes“ der Bundesliga. Die beiden sind die Arbeitsbienen im Team, spulen die meisten Kilometer ab und versuchen die gegnerischen Angriffe bereits im Frühstadium zu unterbinden.

Dass 54 Prozent dieser in Schüssen außerhalb des Strafraums münden, ist auch auf das gute Pressing des Duos zurückzuführen. „Es passt zwischen uns“, beschreibt Neustädter das Verhältnis zu seinem Nebenmann. Für den 23-jährigen, der 2009 vom FSV Mainz 05 kam, war vor allem die erste Saison bei den Fohlen sehr lehrreich. „Da habe ich viele Fehler gemacht“, ist der gebürtige Ukrainer selbstkritisch. Im Jahr darauf drängte er sich mit guten Leistungen in der Sommervorbereitung auf, war sich aber immer im Klaren, dass ihm vorerst nur die Reservistenrolle blieb. „Ich musste mich hinten anstellen und genau das habe ich gemacht. Ich habe sehr geduldig weiter trainiert und hart an mir gearbeitet. Ich habe immer gehofft eine Chance zu bekommen und als sie dann da war, habe ich sie genutzt“, freut sich Neustädter den Sprung zum Stammspieler geschafft zu haben. Weniger Eingewöhnungsprobleme hatten die anderen 50 Prozent der N&N-Achse. Im letzten Winter vom Arsenal FC gekommen zählte der 20-jährige Nordtveit von Anfang an zum Stammpersonal. Der norwegische Teamspieler bietet sich oft als Anspielstation an und kann ebenso wie sein Partner eine beachtliche Passquote vorweisen – rund 83 Prozent der Zuspiele bringen die beiden ans Ziel. So schön sich dieser Wert liest, das Gespann bringt einen Nachteil mit sich. Sowohl der gelernte Innenverteidiger Nordtveit als auch Neustädter spielen kaum vertikale Pässe nach vorne.

Defensive Grundordnung, aber keine Kontertaktik

Der schnelle, direkte Ball in die Spitze genießt bei Favre allerdings nicht die höchste Priorität und der Mangel dieser wird zugunsten der defensiven Absicherung bewusst in Kauf genommen. „Er legt viel Wert auf Ballbesitz. Wir sollen den Ball und den Gegner laufen lassen, sehr geduldig spielen und wenn es sein muss, auch hinten rum vier bis fünf Mal spielen, bis sich dann Lücken ergeben“, verrät Neustädter. Laut Statistik befindet sich der Ball im Schnitt zu 39 Prozent in der eigenen Spielhälfte – der ligaweite Höchstwert. Einen ähnlichen Betrag weist mit 36 Prozent zum Beispiel auch Hannover 96 auf. Die Niedersachsen legen ihr Spiel jedoch ganz anders aus. Aufbauend auf einer soliden Defensive suchen die 96er den schnellen und direkten Weg zum Tor. Insbesondere das Zehn-Sekunden-Zeitfenster, das Slomka seiner Mannschaft vom Umschalten nach Ballgewinn bis zum Torabschluss auferlegt hat, ist in der letzten Saison populär geworden.

Die Zahlen belegen, dass Favres Plan durchaus aufgeht. Im Schnitt haben die Gladbacher 54 Prozent Ballbesitz, liegen damit nur hinter Bayern München (65,7%) und Borussia Dortmund (54,4%). Und auch was die erfolgreichen Pässe betrifft ist man mit 79,5 Prozent im Spitzenfeld der Liga mit dabei.

Im zweiten Teil unseres Spezials über Borussia Mönchengladbach lest ihr alles über das 4-2-4-0-System, Mike Hanke, Superstar Marco Reus und den flexiblen Juan Arango!

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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