Enttäuscht blickte man beim SV Werder Bremen Anfang Mai auf die Abschlusstabelle der deutschen Bundesliga. Mit 42 Punkten beendete das Team von Coach Thomas... Jung, dynamisch und mit neuer Formation – das ist Werder Bremen 2012/2013

Enttäuscht blickte man beim SV Werder Bremen Anfang Mai auf die Abschlusstabelle der deutschen Bundesliga. Mit 42 Punkten beendete das Team von Coach Thomas Schaaf die Saison 2011/2012 nur auf Platz neun, verfehlte somit das angepeilte Ziel „Europacup“. Schon in der abgelaufenen Spielzeit war oft von einem Umbruch zu lesen, dieser setzte sich nun in diesem Sommer fort. Wichtige Stützen der Vergangenheit verließen den Verein, neue hungrige Akteure sollen ihn vom „Mittelmaß“-Attribut befreien.

Über zweieinhalb Wochen quälen sich die Bremer Kaderspieler nun schon um eine dritte Europacuplose Saison in Folge zu vermeiden. Als sie nach einer intensiven Trainingswoche im österreichischen Zell am Ziller zurückkehrten gönnte Schaaf seinen Spielern ein trainingsfreies Wochenende. Seit Montagabend, ein knappes Monat vor dem Pflichtspielauftakt, liegt der Fokus nun mehr auf der Abstimmung der einzelnen Sektionen, denn der Trainer wird – wieder einmal – mit einem neuen System in die Saison gehen.

Abkehr von der Raute

Lange Zeit verband man mit dem Namen Schaaf im Sinne von Aufstellungen eine 4-4-2-Formation mit Mittelfeldraute, die im Herzen einen klassischen Zehner mit außergewöhnlichen Spielmacherqualitäten trug. Die Zeit der Micouds, Diegos und Özils schien schon vor zwei Jahren gezählt, ehe ihn eine total missratene Saison, die beinahe mit dem Abstieg endete, zur Rückkehr zur alten Liebe veranlasste. Mit dem erneuten Verpassen des internationalen Geschäfts in der letzten Spielzeit gingen weitere Veränderungen einher. Stürmerstar Claudio Pizarro wechselte nach München zu den Bayern, Abwehrchef Naldo folgte dem Ruf des Geldes und ging nach einigen Komplikationen zum VfL Wolfsburg. Langzeittorwart Tim Wiese hütet ab kommender Spielzeit den Hoffenheimer Kasten, Marko Marin dribbelt künftig an der Stamford Bridge. Außerdem verließen mit Rosenberg, Borowski und Boenisch weitere chronische Kaderspieler den Weser-Klub. Vielen dieser Spieler ging das Verhalten in Rautenformation ins Blut über. Nun, da sie weg und neue Kicker da sind, scheint ein Systemwechsel nachvollziehbar, am ehesten hin zu einem 4-3-3 bzw. 4-2-3-1.

Elia und Arnautovic wieder vereint

Ein Schwachpunkt von Werders 4-4-2 mit Mittelfeldraute war die oft fehlende Breite. Auf den Halbpositionen spielten meist Spieler, die sich im Zentrum wohler fühlten als am Flügel, auch die Außenverteidiger agierten zu verhalten. Gerade in Deutschland, wo das moderne 4-2-3-1-System in vielen Variationen sehr weit verbreitet ist, kann das in einigen Spielen der entscheidende Nachteil sein. Deshalb hielten die Verantwortlichen in erster Linie nach flexiblen Außenspielern Ausschau. Fündig ist man dabei in der Serie A und der Gambrinus Liga geworden. Vom italienischen Meister Juventus lotste Klaus Allofs den Niederländer Eljero Elia an die Weser. Der 25-Jährige konnte bei der alten Dame nicht Fuß fassen, fiel unter anderem der 3-5-2-Idee von Juve-Coach Antonio Conte zum Opfer. Für das zentrale Mittelfeld fehlten ihm die Anlagen, für die Außenpositionen brachte er zu wenig Defensivqualitäten mit. Bei Werder kommen ihm die Anforderungen besser entgegen. Als Außenstürmer spielte er sich einst in die Herzen vieler Bundesliga-Fans und in die Elftal, allerdings fehlte dem einstigen Hamburger die Konstanz. In Bremen hofft man daher dauerhaft auf ähnlich starke Leistungen wie zu Beginn seiner HSV-Zeit bzw. als er noch das Twente-Trikot trug. Dort bildete er mit ÖFB-Legionär Marko Arnautovic eine brandgefährliche Flügelzange.

Gebre Selassie für zusätzliche Breite

Neben den beiden soll auch Theodor Gebre Selassie das Offensivspiel beleben und variantenreicher machen. Der 25-Jährigen spielte eine bärenstarke Europameisterschaft und wurde für 1,8 Millionen Euro von Slovan Liberec zu den Grün-Weißen transferiert. In den letzten beiden Jahren besetzten etliche Spieler – unter anderem auch gelernte Innenverteidiger wie Prödl, Sokratis und Silvestre – die Außenpositionen in der Viererkette, richtig überzeugen konnte jedoch keiner. Bei keinem stimmte das Gesamtpaket, entweder fehlte es an konstruktiven Vorstößen oder der jeweilige Akteur wurde hinten zu leicht ausgespielt. Mit dem tschechischen Nationalspieler verspricht man sich nun endlich den passenden Spieler gefunden zu haben. Die Anlagen dazu bringt er allemal mit, ebenso den Ehrgeiz. So kehrte Gebre Selassie früher aus seinem Urlaub zurück um die Vorbereitung aufnehmen zu können. „Ich will mich in der Bundesliga, die eine der besten Ligen der Welt ist, schnell durchsetzen“, kündigte er bei seiner Präsentation in der Hansestadt an. Die Umstrukturierung der Außenbahnen scheint aber noch nicht abgeschlossen, denn mit Kevin de Bruyne soll in Kürze ein weiterer Flügelspieler in den Norden Deutschlands wechseln. Beim 21-Jährigen Youngster strebt man ein Leihgeschäft mit seinem derzeitigen Verein, dem Chelsea FC, an.

Petersen und Lukimya – die neuen „target men“?

Für die Werder-Fans beinhaltete die Transferzeit nicht nur viele, sondern auch sehr emotionale Abgänge. Mit Pizarro und Naldo verließen zwei absolute Publikumslieblinge das Weserstadion. Neben den fußballerischen Qualitäten waren sie auch abseits des Rasens wichtige Integrationsfiguren und Persönlichkeiten. Um Spieler, die beide Kriterien erfüllen, zu verpflichten fehlen Werder aktuell die Mittel. Daher konzentrierte man sich auf Spieler, die vor allem das sportliche Loch stopfen können. Mit Assani Lukimya und Nils Petersen investierte man in vier relativ unerfahrene Beine. Während Letzterer zumindest ansatzweise Erfahrungen in der ersten Liga sowie Champions League mitbringt, betritt der geborene Kongolese Quasi-Neuland – knappe 300 Bundesligaminuten bestritt er 2007/2008 für Hansa Rostock. Der 26-Jährige zählte in der letzten Saison zu den besten Zweitligaspielern und wurde sogar von Doublesieger Borussia Dortmund umworben. Der Abwehrspieler bringt neben seiner Athletik auch annehmbare technische Qualitäten mit. Lukimya ist als Hauptkonkurrent für ÖFB-Teamspieler Sebastian Prödl um einen Platz in der Innenverteidigung zu sehen. Petersen hingegen scheint seinen Stammplatz mehr oder weniger sicher zu haben. Der einstige Zweitliga-Torschützenkönig wurde von Rekordmeister Bayern München ausgeliehen und bringt enormes Entwicklungspotenzial mit. „Ich genieße das Gefühl, dass man gebraucht wird, dass ich vielleicht wichtiger bin als in München“, so der 23-Jährige, der die Rückennummer 24 von Pizarro erbt. Als Spielertyp verkörpert er den klassischen Strafraumstürmer, der stets auf Fehler des Gegenspielers lauert und sich gut bewegt.

Die Auswirkungen auf die ÖFB-Legionäre

Die getätigten Transfers haben nicht nur auf die Spielphilosophie Auswirkungen, sondern auch auf die einzelnen Akteure, demnach auch auf die österreichischen Kicker. Marko Arnautovic dürfte im Großen und Ganzen seinen Stammplatz sicher haben – unter der Prämisse, dass er den eingeschlagenen Weg abseits des Platzes weitergeht und keine Skandale liefert. In erster Linie darf der 23-Jährigen auf dem Flügel erwartet werden, wo ihn viele auch am stärksten sehen und er mit Elia rochieren wird. Je nachdem auf welcher Seite er auftauchen wird, kann er somit mit Tempo aufs Tor ziehen oder bis zur Grundlinie durchbrechen und vorrangig Petersen mit Flanken füttern. Weiters ist es durchaus möglich, dass einer der beiden situativ auch hinter dem Solostürmer zu finden sein wird, dann im Stile eines central wingers agiert. Dies hängt jedoch zum Großteil davon ab wer diese Position nominell inne hat. Ist dies Mehmet Ekici, werden derartige spektakuläre Positionswechsel eher rar gesät sein. Lässt Schaaf hingegen zum Beispiel Zlatko Junuzovic ran ist dies eine durchaus wahrscheinliche Option, denn der Ex-Austrianer ist auch auf dem Flügel eine mehr als brauchbare Alternative.

Es kommt also sehr auf die Philosophie an, die Schaaf verfolgt. Junuzovic jedenfalls ließ sich in seinem ersten halben Jahr in der Bundesliga kaum was zuschulden kommen und spielte eine grundsolide Rückrunde, wäre der ideale Hybrid-Spieler, der Laufstärke und Technik vereint. Die Konkurrenz ist jedoch groß. Geht man davon aus, dass Schaaf seine drei, im Allgemeinen defensivschwachen Angreifer mit zwei defensiven Zentralspielern absichern will, gibt es fünf Bewerber um die offene Position: Junuzovic, Ekici, Hunt, Kroos und Trinks. Prödls Gegnerschaft ist hingegen überschaubar. Francois Affolters Bremen-Gastspiel dürfte im Winter zu Ende gehen, zudem verpasst er die Vorbereitung aufgrund der Olympischen Spiele. Damit bleibt lediglich Lukimya als Konkurrent. Dieser bringt, wie erwähnt großes Potenzial mit, allerdings kaum Erfahrung – ein deutliches Plus für den Teamverteidiger. Nachwuchs-Keeper Richard Strebinger, der ablösefrei von Hertha BSC kam, wird kommende Saison in der zweiten Mannschaft spielen, da die Bremer mit Raphael Wolf einen weiteren Tormann mit Österreich-Bezug verpflichtet haben. Der 24-Jährige stand zuletzt in Kapfenberg zwischen den Pfosten.

Wer wird die Mannschaft führen?

Nachdem die sportlichen Neuerungen weitestgehend beleuchtet wurden, stellt sich allerdings noch die Frage nach neuen Führungspersönlichkeiten. Denn neben den sportlichen Qualitäten waren die Abgänge von Wiese, Naldo und Pizarro sowie mit Abstrichen Borowski vor allem charakterlich ein bedeutender Aderlass. Potenzielle neue Führungsspieler sind neben Kapitän Clemens Fritz, der nach dem Zugang von Gebre Selassie im defensiven Mittelfeld erwartet wird, Innenverteidiger Sokratis und Mittelfeldspieler Aaron Hunt, möglicherweise sogar Sebastian Prödl. Der Grieche ist der große Hoffnungsträger in der Innenverteidigung, verkörpert das moderne Abwehrspiel mit kompromissloser Zweikampführung, guter Antizipation und solidem Passspiel. Hunt ist der Spieler im Profikader, der am längsten bei Werder unter Vertrag steht, zählte letzte Saison zu den besten Mittelfeldspielern teamintern und ist trotz seiner erst 25 Jahre der drittälteste Kaderspieler, lässt man Stand-by-Torwart Christian Vander außen vor. Allerdings ist aufgrund der Formationsänderung noch nicht mal klar ob der zweifache deutsche Teamspieler überhaupt einen fixen Platz haben wird. Abschließend muss jedoch festgehalten werden, dass die eigentliche Konstante unter Thomas Schaaf nicht die Rautenformation ist, sondern ein flexibles System mit vielen Positionswechseln und Freiheiten im Offensivbereich. Demnach kann man dies – unabhängig von irgendwelchen Zahlenspielereien – auch in der Saison 2012/2013 von Werder Bremen erwarten.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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