Lange Zeit wurde der Chelsea FC in der vergangenen Saison belächelt. In der Liga rannte man nur hinterher, in der Champions League drohte das... Chelsea FC im Jahr eins nach Drogba

Lange Zeit wurde der Chelsea FC in der vergangenen Saison belächelt. In der Liga rannte man nur hinterher, in der Champions League drohte das Ausscheiden. Nachdem di Matteo Villas-Boas auf dem Chefsessel beerbte, veränderte sich dies schlagartig. In der Premier League wurden sehr gute Ergebnisse eingefahren und auf internationaler Bühne schafften sie das Unmögliche: sie bezwangen nicht nur den FC Barcelona, sondern auch in München in der Allianz-Arena die Bayern, welche klar favorisiert wurden. Dennoch verändert sich seine Mannschaft weiter. Didier Drogba verließ die Blues Richtung China, Salomon Kalou wanderte in die französische Liga ab, während José Bosingwa ohne Verein dasteht. Ersatz gibt es trotz offiziell nur zwei Neuzugängen reichlich.

Die Defensive steht

Wie sollte es auch anders sein, bei jener Mannschaft, die seit den Tagen von Mourinho und natürlich den Halbfinalschlachten gegen Barcelona von 2009 und 2012 als Sinnbild des körperbetonten Defensivspiels steht? John Terry ist hierbei wohl sogar das schwächste Glied in der Abwehrkette. Mit Gary Cahill etablierte sich ein Winterneuzugang als potenzieller Weltklasseverteidiger und künftiger Abwehrchef. Sollte David Luiz konstanter werden und sein Talent nutzen, dürfte er sich dazu gesellen.

Neben Terry kann auch Rechtsverteidiger Branislav Ivanovic diese Position bespielen und fungiert als Ersatz. Jener Ivanovic ist sogar gelernter Innenverteidiger, agiert aber bevorzugt als defensivstarker Außenverteidiger auf der rechten Außenbahn. Damit gibt er bereits eine taktische Marschroute vor: offensive Durchschlagskraft kann er nur bedingt bieten, hierbei muss der Außenstürmer von ihm mehr Verantwortung und Individualität an den Tag legen. Kreativität sollten sich die Mitspieler ebenfalls eher aus der defensiven Zentrale erwarten. Falls Chelsea verstärkt über die rechte Außenbahn kommen möchte, wäre eventuell ein offensivstarker Ersatz nötig. Dieser könnte Ivanovic Konkurrenz machen und ermöglicht es, den physisch starken Serben in die defensive Zentrale zu verschieben. Ob hier wirklich noch ein Spieler kommt, ist abzuwarten. Aktuell scheint es, als ob der Ersatz für die Position des rechten Verteidigers Ferreira sein wird – oder in großen Spielen einer der defensiven Mittelfeldspieler.

Auf der linken Flügelseite gibt es dieses Problem nicht. Mit Ashley Cole und dem jungen Ryan Bertrand ist man hier sehr gut besetzt. Cole ruft an den wichtigen Tagen seine Leistung ab und ist dann Weltklasse wie vor einigen Jahren. Die frühere Konstanz geht ihm etwas ab, allerdings wird wohl darauf spekuliert, dass er das noch hohe Niveau halten kann und alsbald von einem reiferen Bertrand abgelöst wird. Falls nicht, dürften in ein oder zwei Jahren Ressourcen für einen neuen Linksverteidiger freigemacht werden. Aktuell jedoch kein Thema.

Viele Fragezeichen im zentralen Mittelfeld

Die Flexibilität für höchstes Niveau ist vorhanden, doch ob die Qualität stimmt, muss noch herausgefunden werden. Essien, Mikel, Meireles und Romeu können allesamt alleine auf der Sechs agieren oder als defensiver Sechser einer Doppelsechs das Spiel mitorganisieren. Lediglich der junge Romeu und der offensiver eingestellte Meireles benötigen hierbei noch einen defensivstarken Partner, hingegen können Essien und Mikel auch einen offensiveren Spieler zuverlässig absichern. Hierbei hätte sogar Mikel die Nase vorn, da Essien in den letzten Jahren von vielen Verletzungen geplagt wird und nicht mehr an das außerordentliche Niveau aus vergangenen Jahren herankommt. Für die Bank ist er dennoch eine gute Wahl, lässt man die finanziellen Aspekte außer Acht.

Lampard und Ramires können – wie auch der Jungstar Josh McEachran – das Spiel lenken, wenn auch auf ihre jeweilige Art und Weise. Ramires definiert sich eher über seine Vertikalität und sein Box-to-Box-Spiel, sein Pendant Frank Lampard ist eher ein Stratege. Sehr gut möglich, dass ohnehin nur einer von ihnen agiert.

Wenn mit einer Doppelsechs gespielt wird, um davor Hazard oder Mata auflaufen zu lassen, wäre Chelsea ohnehin schwer ausrechenbar. Es kann zwischen einer körperlich starken Zentrale (Meireles und Mikel bspw.), einer organisierenden Doppelsechs (Lampard und Romeu im Extremfall) und einer vertikalen Doppelsechs (Meireles oder Essien in Topform mit Ramires) gewählt werden. Welche Spieler in der kommenden Saison jedoch ihre Topform abrufen können, steht in den Sternen. Ob Essien wegen seinen Verletzungen, Lampard und McEachran wegen ihrer unterschiedlichen Positionierung auf der Altersskala sowie dem letztjährigen Neuzugang Romeu, der gelegentlich etwas passiv und lethargisch wirkte – sie alle müssen noch zulegen, wenn sie durchgehend internationale Klasse verkörpern wollen.

Die offensive Dreierreihe und ihre zahlreichen Möglichkeiten

Ausgehend davon, dass im 4-2-3-1 oder im 4-4-1-1 gespielt wird, dann bieten sich hier ebenfalls viele unterschiedliche Varianten. Ob Marko Marin, Juan Mata oder Eden Hazard: sie können alle als zentrale Spieler hinter dem Stürmer agieren. Mata spielte diese Rolle sehr gut in der vergangenen Saison, während Hazard dies als seine Idealposition angibt. Gut möglich, dass sie sich diese Position sogar spielintern aufteilen. Gelegentlich orientiert sich Hazard ins Zentrum und Mata kommt über seine frühere Stammposition auf der linken Seite. Der Spanier kann sowohl invers, als auch diagonal oder zur Grundlinie durchgehend spielen, während Hazard in der Mitte das Spiel lenkt. Im weiteren Spielverlauf kann dann rochiert und getauscht werden.

Dann würde Eden Hazard von der Seite als verkappter Spielmacher und als nach innen ziehender Flügelstürmer auflaufen, was für Mata Räume öffnet. Er würde dann mehr wie eine hängende Spitze als ein Spielmacher wirken und die Spieler vor sich einsetzen. Auf der rechten Außenbahn könnte form- und gegnerabhängig rotiert werden. Mit Marin besitzen die Blues einen Spieler, der sich perfekt in diese Rochaden einfügen könnte – wenn er denn konstant sein brachliegendes Potenzial nutzt. Der ehemalige Werderaner kann rechts, links und zentral spielen, was auch seine beiden Mitspieler beherrschen. Eine extrem flexible und fluid agierende Dreierreihe könnte entstehen, was Chelsea ungemein gefährlich machen würde. Ob horizontale Passstafetten im Ballbesitz oder vertikales Konterspiel aus einer massierten Defensive: alles kein Problem. Jeder Spieler kann über die Flügel kommen und bei Bedarf werden offene Seiten des Gegners überladen.

Wenn Marin seine Form jedoch nicht abruft, dann gäbe es mit Ramires, Malouda und Sturridge viele weitere Alternativen. Letzterer würde eher als verkappter zweiter Stürmer spielen, Malouda würden sich eher invers geben und Ramires stärker als klassischer Außenspieler präsentieren. Doch Malouda ist – wie auch Bankdrücker Benayoun – ausgesprochen unwahrscheinlich. In den Fokus könnte hingegen Sturridge rücken. Der Engländer erzielte in der letzten Saison einige Treffer und mit seiner direkten Spielweise brächte er eine weitere Dimension ins Spiel. Ramires verkörpert einen etwas defensivstärkeren und weniger abschlussstarken Typus, der aber große Räume überbrücken und das Loch zum defensiven Ivanovic schließen könnte. Sollte Marin nicht wider Erwarten überraschen, dann dürfte sich hier der interessanteste Zweikampf abspielen. Auch, weil  die Zukunft von Chelsea-Ikone Frank Lampard indirekt davon abhängt.

Talente und Stürmer …

Große Fragezeichen stellen die jungen Supertalente Kakuta, Piazon und de Bruyne dar. Insbesondere letztere beiden gelten als große Hoffnungen für die Zukunft und könnten womöglich bereits in dieser Saison ihren Durchbruch feiern. Sie wären weitere Optionen für die Flügel, beide sind Rechtsfüße, die auf beiden Seiten agieren können – Piazon spielte sogar öfter auf dem rechten Flügel denn als inverser Winger. Ein weiterer Jungstar ist Romelu Lukaku, der sich mit Fernando Torres um den vakanten Platz als zentraler Stürmer streitet.

Nach dem Abgang von Drogba werden die Karten neu gemischt. Wochen und Monate vor der Europameisterschaft schien es undenkbar, dass in einem solchen Szenario kein neuer Spieler geholt wird. Aufgrund der guten Auftritte von Torres in der Saisonendphase und bei der Europameisterschaft könnte sich diese Meinung schlagartig geändert haben. Ein Risiko stellt es nach den schwachen eineinhalb Jahren des ehemaligen Liverpool-Stars und seinem unerfahrenen belgischen Sturmkollegen als Ersatzspieler dennoch dar.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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