25. Mai 2005, Istanbul, Atatürk Stadium. Andrej Shevchenko, damals einer der besten Vollstrecker der Welt, legt sich den Ball, dem Jerzy Dudek ihm zuwirft,... Liverpool FC – Vom Champions League Titel zum englischen Ligamittelmaß

25. Mai 2005, Istanbul, Atatürk Stadium. Andrej Shevchenko, damals einer der besten Vollstrecker der Welt, legt sich den Ball, dem Jerzy Dudek ihm zuwirft, sorgfältig auf den Elfmeterpunkt, streift sich kurz durchs Haar und wartet auf den Pfiff des Schiedsrichters. Zwei Jahre zuvor verwandelte er im Champions League Finale 2003 gegen Juventus Turin genau von derselben Stelle und bescherte den Rossoneri den damals 6. Champions League Titel. Heute, nachdem Liverpool einen 0:3 Halbzeitrückstand aufholte, muss er treffen. Der wild herumfuchtelnde polnische Schlussmann der Engländer pariert jedoch, der Klub von der Merseyside gewinnt die begehrte Trophäe zum 5. Mal, nach einer unglaublichen Aufholjagd in einem verrückten Spiel. „It’s just like the old days!“ ertönt aus dem englischen Kommentatorenraum, lagen die letzten Erfolge der Reds doch schon einige Jahre zurück.

Dieses Spiel ist wohl den meisten Fußballfans noch immer in Erinnerung, den Liverpool Fans dient es noch heute als Bezugspunkt für Motivation und Rechtfertigung. Doch abgesehen vom FA Cup Triumpf im folgenden Jahr und einer Finalteilnahme in der Champions League 2007 konnte der Klub den Schwung und das Selbstvertrauen nicht beibehalten. Der Trend zeigt sogar nach unten. In der Saison 2009/2010 erreichte man nur den 7. Platz, was eigentlich keinen internationalen Fußball bedeutete, doch aufgrund des Lizenzentzuges von Pokalfinalist Portsmouth durfte Liverpool an der Europa League teilnehmen. Rafael Benitez Vertrag wurde allerdings aufgelöst und es kam mit Roy Hodgson, Trainer des Europa-League-Zweiten Fulham, ein erfahrener, englischer Trainer nach.

Die „Ära“ Roy Hodgson und der Verkauf des Vereins

Nach mäßigen Erfolgen, zeitweise war der Traditionsverein sogar auf einem Abstiegsplatz, musste Hodgson allerdings nach einem halben Jahr wieder von der Bildfläche verschwinden. Neben dem Platz tat sich auch vieles, Hicks und Gillett, die Eigentümer, wollten den Verein verkaufen, bekamen aber nicht die Summe, die sie sich vorstellten. Es folgte ein langes hin und her vor Gericht und man musste um den Fortbestand des Vereins bangen. Denn die amerikanischen Geschäftsmänner nutzten wirklich jede juristische Möglichkeit, beispielsweise eine Entschädigungsklage über eine Milliarde Pfund an einem texanischen Gericht. Es konnte dann aber eine Einigung mit John W. Henry und der New England Sport Ventures getroffen werden und der Klub wurde verkauft, fast zeitgleich mit der Verpflichtung einer Legende als Trainer. „King“ Kenny Dalglish, das Aushängeschild der glorreichen Zeiten, übernahm vorerst als Interimscoach.

„The Return of the King“

Ein Ruck ging durch den ganzen Verein. Spieler, Trainer, Funktionäre und auch Fans sammelten wieder Motivation und hatten auch den Glauben, dass die verkorkste Saison doch noch irgendwie zu retten sein könnte. Ebenso wurden Luis Suarez und Andy Carroll für insgesamt 57 Millionen Pfund verpflichtet, Ryan Babel, sowie der einst heißgeliebte Fernando Torres für die circa gleiche Summe an Hoffenheim bzw. Chelsea abgegeben. Der Trainereffekt trat tatsächlich ein, zwar schied man im FA Cup bitter mit 0:1 gegen den Erzrivalen Manchester United aus, jedoch konnte man in der Liga Boden gut machen und landete auf dem 6. Platz, was jedoch kein internationales Geschäft im darauffolgenden Jahr bedeutete.

“Next year will be our year!“

Eine Aussage, die man wohl schon seit einigen Jahren von Liverpool-Fans hört. Verständlich, wurde doch im Sommer 2011 kräftig im Kader umgebaut. Downing, Henderson, Adam, Coates, Doni, Bellamy, Enrique wurden allesamt für nicht vernachlässigbare Summen verpflichtet und Spieler wie Konchesky, Jovanovic oder Poulsen, die im Vorjahr gekommen waren, wieder abgegeben. Es folgte nun eine Saison mit Höhen und Tiefen.

In der Premier League veränderte sich nicht sonderlich viel. Gegen die „Großen“ war man stets auf Augenhöhe, man erreichte zuhause gegen die beiden Manchester Clubs jeweils ein 1:1, musste sich ihnen auswärts jedoch stets geschlagen geben (1:2 gegen United, 0:3 gegen City). Gegen Chelsea und Arsenal konnte man auswärts beide Spiele gewinnen, im Heimspiel setzte es gegen die Gunners eine 1:2-Niederlage. Das größte Problem heuer sind aber ganz klar die vielen Heim-Unentschieden. 5-8-1 ist die aktuelle Heim-Statistik, darin inkludiert sind z.B. ein 1:1 gegen Sunderland, 0:0 gegen Swansea, 1:1 gegen Norwich, 0:0 gegen Stoke… möchte man langfristig wieder in der Champions League mitspielen, muss man zumindest die meisten solcher Spiele, vor allem vor heimischer Kulisse, gewinnen. Auswärts folgte zuletzt ein vermeidbares 2:3 gegen die QPR, nachdem man eine 0:2-Führung innerhalb der letzten 20 Minuten noch aus der Hand gab. Kein Wunder, dass man sich auf dem siebten Tabellenplatz befindet, mit 12 Punkten Rückstand auf Platz 4, mit nur noch neun zu spielenden Runden.

In den Pokalbewerben hingegen kann man durchaus auf Erfolge zurückblicken. So gewann man den kleinsten aller Pokale, den Carling Cup, in einem packenden Finale gegen ein großaufspielendes Cardiff, wie für Liverpool üblich,  im Elfmeterschießen mit 3:2, nachdem man vorher allerdings unter anderem Manchester City und Chelsea bezwungen hatte. Im FA-Cup befindet man sich aktuell im Halbfinale und trifft hier auf Everton oder Sunderland. Vorjahresfinalist Stoke City und Manchester United wurden jeweils zuhause mit 2:1 aus dem Bewerb geworfen. Sollte man den FA Cup auch gewinnen, so erhält man einen fixen Startplatz in der Europa League Gruppenphase für die Saison 2012/13.

Wo kann man ansetzen?

Liverpool weist eine erschreckende Chancenverwertung auf. Der Spielaufbau kann sich zeitweise sehr gut sehen lassen, allerdings werden nur rund 8% in Zählbares umgewandelt, damit liegt man in der Liga an letzter Stelle, im Vergleich zu europäischen Topligen an  drittletzter Stelle, nur Kaiserslautern und Cesena haben noch schlechtere Werte.

Einerseits fehlt hier wie vielen Teams der klassische Vollstrecker, Andy Carroll wurde eigentlich dafür verpflichtet – der junge Engländer spielt vor allem zuletzt stark und ist sehr präsent auf dem Platz, aber das Toreschießen will ihm weiterhin nur selten gelingen. Andererseits ist es auch das Unvermögen der Spieler, so verschoss man in dieser Saison 5 von 6 Elfmetern in der Premier League und „erzielte“ 24 Aluminiumtreffer – Ligaspitzenwert!

Ebenso sollte man sich Gedanken über den Trainer machen. Dalglish genießt in Liverpool eine fast uneingeschränkte Verehrung seitens der Fans, aber auch der Spieler und den Vereinsmitarbeitern. „In King Kenny we trust“ lautet die Parole, wenn jedoch langfristig nichts Zählbares rauskommt, sollte ein Ersatz gefunden werden. Sein Nachfolger wird dann die schwierige Aufgabe haben, das ganze Potential, das der Kader unbestreitbar hat, wieder hervorzuholen und Spieler, die bei ihren Vorgängervereinen glänzten (Downing bei Aston Villa, Adam bei Blackpool, Carroll bei Newcastle) wieder zu motivieren und es zu schaffen, dass der altbekannte Knoten endlich aufgeht.

Ausblick

Es bleibt abzuwarten, inwiefern sich der Kader und das Trainergespann im Sommer verändern. Einen Umbruch wird und muss es auf jeden Fall geben. Die Champions League Qualifikation ist wohl schon dahin, ein Triumpf im FA-Cup würde allerdings wieder einige kritische Stimmen verstummen lassen. Der Vertrag von Dalglish läuft noch 2 Jahre, ob er ihn allerdings erfüllt, steht auf einem anderen Blatt.

Max Propst, abseits.at

Max Propst

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