Das Pressing gilt als modernes taktisches Werkzeug zur Dominanz ohne Ball. Für BVB-Cheftrainer Jürgen Klopp ist das Gegenpressing – das Bestreben den Ball unmittelbar... Die Pressingvarianten der Underdogs – FC Parma unter Roberto Donadoni

Das Pressing gilt als modernes taktisches Werkzeug zur Dominanz ohne Ball. Für BVB-Cheftrainer Jürgen Klopp ist das Gegenpressing – das Bestreben den Ball unmittelbar nach dessen Verlust sofort  zurückzuerobern – gar der „beste Spielmacher“. Deshalb ist es gerade für Underdogs mit individuell unterlegenen Einzelspielern ein immer beliebteres Mittel um die „Großen“ zu ärgern. In dieser Rubrik befasst sich abseits.at mit solchen Teams. Im ersten Teil blicken wir auf den FC Parma.

Die größten Erfolge feierten die Norditaliener in den 1990er-Jahren, als das Team einmal (1993) den Europapokal der Pokalsieger sowie zweimal (1995 und 1999) dessen Nachfolgewettbewerb, den UEFA-Pokal, gewann. Damals liefen Spieler wie Gianluigi Buffon oder Fabio Cannavaro noch mit dem Wappen der AC Parma auf der Brust auf. Nachdem ihre  Muttergesellschaft, der Parmalat-Konzern, im Sommer 2004 Konkurs anmeldete, wurde als Nachfolgeverein der FC Parma gegründet. Nach turbulenten Jahren und einer Saison in der Serie B geht es mit dem Traditionsklub aktuell wieder bergauf.

Der Kader: gewöhnungsbedürftig

Das Trainerzepter in der Emilia-Romagna schwingt derzeit Roberto Donadoni. Unter dem ehemaligen italienischen Teamchef erreichten die Gelb-Blauen letzte Saison Tabellenplatz acht, fünf Punkte fehlten auf einen Europacupplatz. Nach dem Abgang von Sebastian Giovinco (Juventus) und Cristian Zaccardo (AC Milan) besteht der Kader zum Großteil aus hierzulande unbekannten Kickern und teilweise welchen, die bei Großklubs gescheitert sind bzw. ausgemustert wurden.

Im Angriff findet man mit Ex-Juve-Stürmer Amauri und dem ehemaligen Inter-Flügelspieler Jonathan Biabiany sowie dem 21-jährigen Sommerneuzugang Ishak Belfodil und dem ebenso alten Nicola Sansone, der bei Bayern München ausgebildet wurde, einen Mix aus Erfahrung und Talent. Abwehrchef und Kapitän Alessandro Lucarelli ist bereits 35 Jahre alt, hat über 270 Serie-A-Spiele am Buckel. Ergänzt wird die Innenverteidigung von Spielern im „besten Fußballeralter“, die aber über die Grenzen Italiens bisher kaum groß aufzeigen konnten – zum Beispiel Gabriel Paletta (27), Yohan Benalouane (25), Fabiano Santacroce (26) oder Andrea Coda (27), der immerhin alle Nachwuchsauswahlen der Squadra Azzurra durchlief.

Auf den defensiven Außenpositionen findet man eine ähnliche Mischung wie im Sturm. Massimo Gobbi gilt mit über 230 Erstligaeinsätzen als Serie-A-Veteran, dazu kommen mit Djamel Mesbah und Aleandro Rosi zwei Akteure die sich bei Topklubs (Milan bzw. Roma) nicht etablieren konnten. Das Herzstück ist das Mittelfeld, auf das im Zusammenhang mit der Ausrichtung näher eingegangen wird.

Die Ausrichtung: aggressiv

Wie die meisten Vereine in der Serie A läuft Parma entweder in einer 3-5-2- oder 4-3-3-Grundordnung auf. Dementsprechend unterschiedlich sind auch die Besetzungen der Außenpositionen und des Angriffs. So sah man in der laufenden Saison beispielsweise unter anderem auch ein 3-5-2 mit asymmetrischen Außen (Biabiany und Gobbi) und sowohl eines mit zwei beweglichen Spitzen (Sansonse und Belfodil) als auch eines mit klassischem Sturmduo (Belfodil und Amauri). Setzt Donadoni auf ein Dreistürmersystem ist die Zusammensetzung hingegen klarer.

Zwei agile Flügelspieler (Biabiany und Sansone) flankieren entweder Belfodil oder Amauri. Diese – positiv ausgedrückt – Flexibilität erkennt man auch in der Torverteilung. Zwar hat kein Spieler mehr als sieben Treffer erzielt, jedoch gibt es bis jetzt immerhin schon zwölf verschiedene Torschützen. Im zentralen Mittelfeld, das sowohl in der 3-5-2- als auch in der 4-3-3-Formation drei Spieler umfasst, ist die Streuung der Einsätze weniger stark, obwohl die Kaderzusammenstellung es durchaus nahelegen würde. Die verfügbaren Spieler ähneln sich nämlich sowohl was die Athletik als auch den Spielstil betrifft.

Mit McDonald Mariga, der allerdings erst auf 40 Einsatzminuten kommt, und Marco Parolo gibt es nur zwei Akteure, die größer als 1,85 Meter sind. Bis auf Daniele Galloppa (1,81m) ist gar jeder weitere Zentrumspieler unter 1,80. Jaime Valdes, Marco Marchionni und Sotirios Ninis sind technisch starke und flinke Spielertypen – keine klassische, robuste Besetzung, aber im Pressing ein enorm wichtiger Faktor. Diese jagende und aggressive Philosophie führt dazu, dass es aktuell nur zwei italienische Mannschaften gibt, die mehr Kombinationen des Gegners unterbinden – seien es Tackles, Interceptions oder Fouls (siehe Grafik).

Die Stärke: Hoher Druck dank Weitblick

Dabei verfolgt Parma – anders als etwa Athletic Bilbao unter Marcelo Bielsa, das Paradebeispiel für effektives Underdog-Pressing – keinen reinen mannorientierten Pressingansatz. Die Spieler hetzen ihre Gegner nicht in Manndeckung über den ganzen Platz, sondern attackieren diese situationsbedingt. Allerdings tun sie das mit Weitblick, denken immer schon ein, zwei Spielzüge weiter voraus. Zwei Beispiele aus der letzten Partie gegen den AC Milan sollen dies verdeutlichen. Gespielt wurde damals in einer 4-3-3-Formation. Nach einem Abschlag erobert Milan den Ball, wird aber sofort von Parma unter großen Druck gesetzt.

Nicht nur, dass Parma in unmittelbarer Ballnähe gleich drei Spieler hat, auch drumherum nehmen die Gäste bessere, weil ballnähere Positionen ein. Dem ballführenden Mailänder bleibt nur die offensichtliche Option einen Pass in die Mitte auf Sulley Muntari (Nummer vier) zu spielen. Der steht jedoch schon davor im Fokus von Marchionni, welcher den Ball zwar erobert, allerdings dann einen Pass in die Füße des Gegners spielt. Daraus entsteht die folgende Situation.

Zwar ist der AC Milan nun in Ballbesitz, allerdings haben die Parma-Spieler weiterhin sehr günstige Stellungen um erneut eine schnelle Balleroberung zu erreichen. Die Mailänder fächern sich naturgemäß auf um das Spiel breit zu machen. Parma zieht seine beiden Linie um den Ballführenden, Cristian Zapata, herum zusammen um ihm die Passoptionen zu nehmen. Besondere Beachtung gilt hier wieder Muntari, der als logische Anspielstation wegfällt, da er in Reichweite eines Gegners, Valdes, steht. Deshalb entscheidet sich Zapata mit dem Ball am Fuß vorzustoßen.

Dort tappt er aber genau in die Falle Parmas und wird gleich von fünf Spielern eingekesselt. Der Druck auf ihn wird zusätzlich erhöht, weil Valdes nun erkennt, dass Muntari von Zapata nicht angespielt wird, und ihn attackiert. Des Weiteren sind wieder die Blick- und Zielfelder der weiteren Parmaer angedeutet. Ein Pass auf die linke Außenbahn, der ohnehin ein gutes Timing erfordert hätte, wäre ein gefundenes Fressen für Rosi. Deswegen hält Zapata den Ball in der Mitte und passt zu Kevin-Prince Boateng am Mittelkreis. Das hat Marchionni aber schon vor dem Zuspiel überrissen, was man an seiner Kopfhaltung bzw. Blickrichtung erkennt.

Er attackiert den Deutsch-Ghanaer und wird dabei von Paletta unterstützt. Erneut wird die Kombination unterbrochen, allerdings durch ein Foul – noch das Beste, was Milan aus dieser Situation rausholen konnte.

Eine weitere Szene, in der man das hervorragende Gegenpressing von Parma erkennen konnte, stammt aus der 11. Minute.

Valdes kommt nach einem missglückten Klärungsversuch an den Ball, in der Angriffslinie stehen gleich vier Mitspieler (drei Stürmer und Rechtsverteidiger Rosi). Die beiden Möglichkeiten: eine Flanke in den Strafraum und ein hoher Pass hinter die Außenverteidiger. Valdes entscheidet sich für letzteres.

Wieder kommt der Pass nicht an, sondern landet bei einem Milan-Spieler, in weiterer Folge hier bei Riccardo Montolivo. Dieser wird allerdings umgehend von Parolo frontal angelaufen. Ein Pass in die Mitte zu Zapata fällt aus, weil dieser von Amauri zugestellt ist. Eine scheinbare Möglichkeit ist, Muntari (Nummer vier) anzuspielen, da Rosi (Nummer 87) zu weit weg zu stehen scheint und zudem auf den Ball fokussiert ist. Warum aber auch diese Option für den Ballführenden wegfällt, sieht man im nächsten Bild.

Hinter Muntari lauert Marchionni auf diesen Pass. Montolivo dreht daher ab und versucht auf die rechte Seite zu verlagern – eine naheliegende Entscheidung, da auf der ballfernen Außenbahn in aller Regel der Druck geringer ist.

Allerdings ist Parma erneut einen Schritt weiter als man denkt. Linksverteidiger Mesbah fängt den Ball ab und läuft damit die Outlinie entlang um zu flanken, was ihm aber misslingt. Der Angriff verpufft erneut, das starke Gegenpressing bleibt schon wieder unbelohnt.

Das Manko: fehlende Durchschlagskraft

Man erkennt in beiden Szenen deutlich, wo das Problem des FC Parma liegt – nicht nur in diesem Spiel, das ein schwaches Milan dank eines Doppelpacks von Mario Balotelli 2:1 gewann. In Ballbesitz fehlt die Durchschlagskraft um die Wirkung des so starken Pressings besser auszunutzen. Zwar lässt man die fünftwenigsten Torschüsse zu, allerdings ist eine Passerfolgsquote von 80,5% gerademal ein mittelmäßiger Wert (Nr.12 ligaintern). Sieht man sich die Schusseffizienz an, sieht’s noch düsterer aus. Mehr als drei Schüsse (3,3) braucht man um das Tor zu treffen, nur Atalanta ist in dieser Hinsicht schlechter (3,43). Tatsachen, die unmittelbar mit der individuellen Klasse zusammenhängen.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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