Die Kräfteverhältnisse in der spanischen Primera Division sind klar abgesteckt. An der Spitze thronen der FC Barcelona und Real Madrid, dahinter stritt sich in... Die Pressingvarianten der Underdogs – Real Sociedad unter Philippe Montanier

TaktikDie Kräfteverhältnisse in der spanischen Primera Division sind klar abgesteckt. An der Spitze thronen der FC Barcelona und Real Madrid, dahinter stritt sich in den letzten Jahre eine Fülle an Mannschaften – zum Beispiel Valencia, Atletico, Sevilla, Villareal – darum, wer die Nummer drei ist. Doch auch diese Teams sind nicht ohne Konkurrenz, denn von hinten drängen immer wieder kleinere Klubs nach – in den letzten beiden Jahren etwa Athletic Bilbao, Malaga oder Levante. Heuer nimmt diese Rolle Real Sociedad ein.

Den Basken sind diese Regionen jedoch nicht fremd. Vor genau zehn Jahren kämpften sie beispielsweise sogar um die Meisterschaft. Gegen Real Madrid, das damals mit Millionen um sich schmiss, zogen sie nur knapp den Kürzeren. Danach ging es mit La Real allerdings rasch bergab, ehe man 2007 als Vorletzter abstieg. Seit der Saison 2010/2011 spielt man nun wieder in der Primera Division und ist nach einer Serie von 15 ungeschlagenen Spielen die Mannschaft der Stunde und aktuell sogar auf Champions-League-Qualifikation-Kurs.

Steiler Aufstieg für Coach Montanier

Im Gegensatz zu Marcelo Bielsa bei Bilbao und Manuel Pellegrini bei Malaga sitzt in San Sebastian ein Trainer auf der Bank, dessen Name weniger klingend und der vergleichsweise unerfahren ist. Nur zwei Erstligajahre hatte Philippe Montanier als Trainer auf dem Buckel als er Valenciennes 2011 verließ und bei Real Sociedad unterschrieb – zehn Jahre nach seinem Landsmann Raynald Denoueix, dem Trainer der erwähnten Vizemeistermannschaft. Von Anfang an war der Weg für den Franzosen vorgezeichnet. „Wie schon unter Raynald will man dem Nachwuchs eine Chance geben und hat die Türen für die jungen Talente weit aufgerissen“, hieß es damals. „Dafür braucht man einen Trainer, der die Nachwuchskräfte auch Mal in der ersten Liga einsetzt und sie bei ihrer Entwicklung begleitet.

Der Kader: Kaum Importe

Dementsprechend ist auch der Kader der Weißblauen zusammengestellt. Torhüter Claudio Bravo und Innenverteidiger-Backup Ion Ansotegi sind mit 30 Jahren die ältesten Spieler im Team. Einen regelrechten Jugendwahn bzw. ein „Verheizen“ der Nachwuchsspieler gibt es jedoch nicht, was das Durchschnittsalter von 26,1 Jahren zeigt. Obwohl sich La Real im Gegensatz zum baskischen Rivalen aus Bilbao, der nur im Baskenland ausgebildete Akteure zulässt, nicht in der Spielerwahl einschränkt, befinden sich im Kader auffällig viele Kicker, die dem Verein schon seit dem Nachwuchs angehören.

Allen voran Kapitän Xabi Prieto, der für den Klub bereits über 300 Spiele bestritt und ihn auch in der Segunda Division nicht im Stich ließ, obwohl er damals im besten Fußballeralter war und das Zeug für mehr hatte. Aber auch die aufstrebenden Jungstars der Mannschaft entstammen der eigenen Akademie. Dazu zählen sowohl gebürtige Basken wie beispielsweise Innenverteidiger Iñigo Martínez, der Medienberichten zufolge ein Thema beim FC Barcelona sein soll, und Asier Illarramendi, der Defensivstratege vor der Abwehr, als auch frühzeitige Importe, wie etwa der 22-jährige französische Flügelflitzer Antoine Griezmann.

Insgesamt zahlte man nur 6,5 Millionen Euro an Ablösesummen um den aktuellen Kader zusammenzustellen. Der Großteil davon ging im letzten Sommer an Arsenal, als man Carlos Vela nach einer starken Leihsaison für kolportierte vier Millionen Pfund fix verpflichtete. Auf der Insel konnte sich der 24-jährige Angreifer, obwohl man ihm viel Potenzial bescheinigte, nie richtig durchsetzen. Aktuell ist der Mexikaner mit 14 Toren und 11 Vorlagen der Topscorer des Teams.

Die Ausrichtung: Gnadenlose Kontertaktik

Unter Montanier spielen die Basken in einer 4-2-3-1-Grundordnung, die sich im Durchschnitt oft zweigeteilt zeigt – ähnlich wie es bei Malaga der Fall ist. Wie bei den Andalusiern hat dies mit den Bewegungen in der Defensive und dem Umschaltspiel nach vorne, das meist nur die vier Offensiv tragen, zu tun. Während Malaga gegen Ball jedoch in zwei Sektionen arbeitet, presst La Real viel kompakter, wie man später sehen wird. Der Grund dafür ist das auf Konter ausgelegte Spiel, das sie gnadenlos durchziehen.

Im Schnitt hat man zwar nur knapp über 50% Ballbesitz, allerdings verzeichnet man die drittmeisten Schüsse aufs Tor (5,4 pro Spiel) – nur Barca und Real sind in dieser Kategorie besser. Eine weitere Charakteristik des Konterspiels ist, dass sie vergleichsweise selten aus zentralen Zonen aufs Tor schießen. Mit 58% haben die Basken hier den zweitkleinsten Wert. Vielmehr sucht man nach Ballgewinnen den Weg über die Außen, was durchaus logisch ist. Die gegnerischen Verteidiger sind in aller Regel aufgerückt, das bietet große Räume.

Sieht man sich die Balleroberungsstatistiken genauer an, könnte man zu dem Schluss kommen, dass La Real kein besonders gutes Defensivspiel hat. Mit durchschnittlich 36,9 Balleroberungen (21,1 Tackles und 15,8 Interceptions) pro Spiel liegt man im unteren Drittel und auch, dass man pro Spiel 13,1 Torschüsse zulässt – ligaintern Platz zwölf -, liest sich auf den ersten Blick nicht besonders schön. Doch wenn man sich die Art und Weise ansieht, mit der die Basken verteidigen, wird man verstehen, warum nur fünf Teams weniger Gegentore bekommen haben.

Die Stärke: Zuerst verschieben, dann pressen

Das Pressing ist nämlich nicht so balljagend ausgelegt wie es etwa bei Borussia Dortmund oder Parma der Fall ist. Der Kontakt mit dem Gegner soll bewusst vermieden werden. Vielmehr charakterisiert es sich durch kompakte Verschiebebewegungen, die dem Gegner die Anspielstationen nehmen und zu Verzweiflungsschüssen aus ungünstigen Positionen zwingen. Ganze 54% der zugelassenen Schüsse wurden von außerhalb des Strafraums abgegeben – nur Levante hat mit 55% einen marginal besseren Wert. Dennoch bedeutet dies nicht, dass Real Sociedad ausschließlich auf Fehlpässe des Gegners angewiesen ist und nicht aktiv Druck auf ihn ausübt.

Im Gegenteil, sie tun es nur auf eine sehr elegante und überlegte Weise. Attackieren die Basken, ist es für den Gegner nur sehr schwer möglich, in Ballbesitz zu bleiben, da er meist keine Anspielstationen mehr vorfindet und quasi aufgefressen wird. Besonders die beiden Sechser, Illarramendi und Markel Bergara, tun sich hier hervor. Kein Duo in der Primera Division erobert im defensiven Mittelfeld mehr Bälle als die beiden. Die sieben Tackles und 5 Interceptions pro Spiel verteilen sich dabei weitestgehend gleichmäßig auf die beiden Spanier.

Aggressives Angriffspressing

Das Defensivverhalten sei nun anhand zweier Szenen aus dem fulminanten 4:2-Heimsieg gegen Valencia, der kürzlich errungen wurde, demonstriert. Dabei wollen wir uns nicht nur auf das Abwehrpressing beschränken, sondern uns auch ansehen, wie die Basken den Gegner schon beim Herausspielen bedrängen.

Valencias Keeper hat hier den Ball. Man erkennt bei La Real sofort die unterschiedlichen Arten der Deckungen. Die Viererkette, die sehr eng steht, und die beiden Flügelspieler orientieren sich stark am Mann. Die übrigen vier Spieler entscheiden situativ wie sie sich verhalten und haben eine gewisse Freirolle inne. Imanol Agirretxe (weiß) stellt beispielsweise den rechten Innenverteidiger zu.

Die einzigen beiden freien Valencia-Spieler sind daher David Albelda (blau) und der linke Innenverteidiger. Da ein Gegenspieler in der Mitte mehr Freiheiten hat, entscheidet man sich dazu, Albelda zu blockieren und das Spiel auf den Innenverteidiger zu lenken. Prieto (rot) löst sich von diesem und rückt ein, Illarramendi (gelb) stößt aus der Tiefe nach vorne.

Der Torwart erkennt den Druck auf Albelda und passt wie erwartet nach links. Nun setzt der Übergabemechanismus der Gastgeber ein. Die Abwehr- und Flügelspieler agieren noch immer mannorientiert, während die anderen vier ihre Aufgabengebiete ändern. So attackiert Prieto nun den Ballführenden, während Agirretxe in die Mitte auf Albelda schiebt. Dabei steht er noch immer so günstig, dass ein Wechselpass für Valencia äußerst riskant wäre.

Illarramendi bewegt sich wieder zurück und stellt den letzten anspielbaren Valencia-Spieler in seinen Deckungsschatten. Bergara übernimmt während dieser Aktion eine überwachende Position. Zuerst teilt er, wie gut zu sehen ist, ein, dann verschiebt er nach rechts um einem Pass in die Spitze vorzubeugen. Nachdem der Ballführende starkem Druck ausgesetzt ist, passt er wieder zum Keeper zurück, der den Ball schließlich abschlägt.

Strukturiertes Abwehrpressing

Die zweite Szene, die wir uns genauer ansehen, ist jene, die zum vorentscheidenden 3:1 führte. Real Sociedad eroberte tief in der eigenen Hälfte den Ball und kam danach über wenige Stationen zum Torerfolg.

Ever Banega (grün) führt den Ball. Die Viererkette steht wieder eng zusammen, wobei die Außenverteidiger, die in dieser Szene keine direkten Gegenspieler haben, sich um so einen umsehen. Rechtsverteidiger Carlos Martinez orientiert sich an den Stürmern, während Alberto De la Bella (rot) im Zentrum Pablo Piatti sucht. Nicht nur deswegen ist dieser schwer anzuspielen, denn er ist auch von drei weiteren Spielern umstellt.

Die Flügelspieler weisen wieder lose Mannorientierungen gegen die Außenverteidiger auf, wobei Vela ballfern zurückgerückt und weiter weg vom Gegner steht. Das Mittelfed-Trio hat als primäres Ziel, die Mitte zuzumachen, weswegen Bergara zentral einrückt anstatt den Passweg auf den ballfernen Flügel zu blockieren. Das hätte zwar möglicherweise einen schnelleren Ballgewinn gebracht, allerdings entspricht es nicht der Philosophie und ist unsicherer. Deshalb kann Banega ohne Druck nach rechts auf Jonas (gelb) verlagern.

Der Brasilianer dribbelt nach vorne und tappt in die Falle der Hausherren. Am Strafraum haben sie eine drei-zu-zwei-Überzahl; Martinez ist, wie man erkennen kann, nah an die anderen Abwehrspieler herangerückt. Banega steht zwischen zwei Basken und wäre ein gefundenes Fressen, zudem steht er ohnehin nicht in Jonas‘ Sichtfeld. Piatti ist mittlerweile von De la Bella zugestellt.

Die Initialzündung zur Attacke auf den Ball ist schließlich das Herausrücken von Vela auf den Außenverteidiger. Dadurch fällt für den Ballführenden die letzte Option weg und er ist Freiwild, wird umgehend von Bergara attackiert. Kurze Zeit später ist der Ball weg und landet im Tor der Gäste –eines von insgesamt neun Kontertoren der Basken, die mit damit diese Liste anführen.

Das Manko: Das Herausspielen

Will man ein Haar in der Suppe finden, dann ist dies die Tatsache, dass nur wenig herausschaut, wenn man selbst das Spiel machen muss. Denn neben vieler Kontertore erzielen die txuri-urdin auch überdurchschnittlich viele Treffer nach Standardsituationen und Elfmeter. Das muss daher zwangsläufig auf die Ausbeute an herausgespielten Toren gehen. Rund 49% der Tore erzielen sie nur aus dem Spiel heraus – ein Wert, der nur von sechs Mannschaften unterboten wird. Nichtsdestotrotz überwiegen im Spiel der Basken seit geraumer Zeit die positiven Aspekte, weswegen sie drauf und dran sind in den Europacup einzuziehen – und das absolut verdient.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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