In der vergangenen Saison gewann Real Madrid die Champions League und holte auch noch den spanischen Pokal. Doch auf seinen Lorbeeren soll man sich... Eine hausgemachte Krise: Die Gründe für Real Madrids Fehlstart in die neue Saison

Real Madrid - Wappen mit FarbenIn der vergangenen Saison gewann Real Madrid die Champions League und holte auch noch den spanischen Pokal. Doch auf seinen Lorbeeren soll man sich bekanntlich nicht ausruhen: Die Madrilenen investierten prompt weitere zahlreiche Millionen in ihr Team und holten unter anderem James Rodriguez – den für viele besten Einzelspieler der Weltmeisterschaft 2014 – für die Offensive und Bayerns Superstar und Weltmeister Toni Kroos für das zentrale Mittelfeld. Seitdem befinden sich die Madrilenen allerdings in einer kleinen Krise.

Schon sechs Gegentore erhielt man in den drei Ligaspielen bislang, die schwächste Quote in der gesamten Liga (gemeinsam mit Elche). Doch nicht nur die Defensive schwächelt; trotz der offensiven Ausrichtung und enormen individuellen Qualität konnten sie nur ein Spiel gewinnen, obwohl sie natürlich mit fünf Toren in drei Spielen keine allzu schlechte Torquote haben. Aber es zeigen sich dennoch zahlreiche Probleme in der Offensive wegen mangelnder Einbindung und Harmonie der Spieler. Die Arbeit gegen den Ball stellt aber das größte Problem dar.

Defensive Antagonien im klareren 4-4-2

In der vergangenen Saison spielten die Madrilenen bis Saisonende und in fast allen Spielen ein asymmetrisches 4-1-4-1, in welchem Angel di Maria als linker Achter auf die Seite auswich und dort die von Cristiano Ronaldo defensiv vernachlässigten Räume sicherte. Auch offensiv ging di Maria oftmals auf den Flügel und ermöglichte dadurch Cristiano Ronaldo eine Freirolle im Ballbesitzspiel. In diesem Sommer wurde di Maria verkauft und stattdessen spielt nun James Rodriguez auf dieser Position.

Das ist problematisch, weil James weder offensiv die nötige Athletik und Spielintelligenz für die Laufwege di Marias und damit die Unterstützung Cristiano Ronaldos mitbringt, sowie im Spiel gegen den Ball die extrem großen Räume hinter Cristiano Ronaldo nicht so dynamisch wie der Argentinier sichern kann. Darum spielen sie jetzt häufiger ein klareres 4-4-2, in welchem Cristiano Ronaldo konstant als zweiter Stürmer hinter und neben Benzema agiert, während James sich durchgehend um den linken Flügel kümmern soll.

Normalerweise ist das eine relativ konstante Ausrichtung; doch hier kommt das zweite Problem ins Spiel. Neben di Maria wurde auch Xabi Alonso verkauft, der mit Modric der dritte im zentralen Mittelfeldverband war. Nun wurden also di Maria und Alonso durch James und Kroos ersetzt – was dafür sorgt, dass viele Räume nicht ordentlich gesichert werden können. Problematisch ist hier auch die Weiträumigkeit – oder das Fehlen dieser – bei Kroos und Modric.

An sich sind beide nämlich defensiv herausragende Akteure. Kroos bewegt sich sehr gut, kann gegnerische Angriffe intelligent leiten und verhindert geschickt Pässe in seinem Umfeld. Modric ist extrem spielintelligent in all seinen Bewegungen, wendig und kann nach Balleroberungen mit einer herausragenden Gegenpressingresistenz brillieren. Problematisch ist aber, dass die beiden relativ weite Räume zu zweit sichern müssen – was beiden nicht liegt.

Modric ist der Akteur, der mit einem absichernden zweiten Sechser gerne Räume dynamisch verschließt, den Gegner zu einer bestimmten Passstation leitet und dann aggressiv attackiert; ansonsten konzentriert er sich auf das Abfangen von Pässen in kleineren Räumen. Kroos spielt am liebsten vor zwei unterstützenden Sechsern oder mit einem tiefen Sechser und einem dynamischen Achter, wie es bei Bayern meist der Fall war. Hier kann er seine defensiven Fähigkeiten gut einbringen. Als Sechser in einer Doppelsechs – oder auch als einziger Sechser hinter zwei Achtern – kann er oftmals wegen seiner mangelnden körperlichen Dynamik nicht die weiter entfernten Räume sichern oder ist im Verschieben (und besonders im defensiven Umschaltmoment) nicht schnell genug, um direkt Druck aus distanzierteren Positionen ausüben zu können.

Das waren beides wiederum Stärken von Alonso und di Maria. Auch wenn insbesondere Alonso im Stellungsspiel nicht so exakt und intelligent war wie Kroos und Modric, so konnte der Spanier durch seine sehr aggressiven Attacken und langen Sprints oftmals noch wichtige taktische Fouls begehen oder weite Räume grob abdecken. Dadurch hatten die häufig etwas defensivlethargischen Offensivspieler – wo es mit James statt di Maria nun einen mehr gibt – mehr Zeit um zurückzukommen und die Kompaktheit wiederherzustellen. Weil dies nicht mehr passiert, kann auch die kleinere Reichweite der aktuellen Doppelsechs bespielt werden.

Aber diese defensiven Probleme sind nicht die einzigen Baustellen. Offensiv gibt es auch ein paar, welche sich durch den Systemwechsel und den Abgang di Marias herauskristallisieren.

Ohne primären Balancespieler und Zentrumspräsenz

Im „Transfers erklärt“ zu Angel di Maria wurde schon erläutert, dass di Maria mit seiner Mischung aus enormen individuellen taktischen wie technischen Fähigkeiten, seiner Athletik und seiner extrem das Kollektiv unterstützenden Spielweise ein Unikat im Weltfußball darstellt. Er kann Spiele alleine entscheiden, ist aber dabei nie zu präsent und muss eigentlich nie seine Mitspieler negativ dafür beeinflussen; weder müssen sie ihm konstant Räume öffnen noch als Zuarbeiter oder defensive Absicherung dienen. Di Marias Ersatz James ist zwar ein sehr starker Fußballer, aber deutlich individueller in seiner Spielanlage. Natürlich ist er kein Spieler, der das Kollektiv durch seine Spielweise schwächt, aber im Gesamtkonstrukt Real Madrid benötigt es einen Spieler, der auf offensivtaktischem Niveau allerhöchste Fähigkeiten hat – und ohne di Maria fehlt dieser (abgesehen von Benzema).

Dadurch mangelt es den Madrilenen aktuell an einem Spieler, der für Bale und Cristiano Ronaldo Räume öffnet, der ihnen als simple Kombinationsstation dient und der gegen den Ball ihre Mängel – hierbei insbesondere Ronaldos – aufwiegt. Besonders problematisch ist aber die verringerte Präsenz in zentralen Räumen. In der vergangenen Saison spielten die Madrilenen eigentlich nur in den Topspielen gegen Saisonende im 4-4-2; hier konnten sie durch ihren Konterfokus über die Flügel kommen, waren hier herausragend und Modric erledigte in den zentralen Räumen nahezu alles Benötigte im Alleingang.

Aktuell spielen sie aber auch in Partien mit deutlich mehr Ballbesitz dieses 4-4-2; Cristiano Ronaldo ist aber zu tororientiert, während Benzema den Mittelstürmer gibt. Die Räume in der Mitte zwischen der Doppelsechs und dem Sturmduo werden dadurch nur situativ von den einrückenden James und mit Abstrichen Bale sowie natürlich dem gelegentlich zurückfallenden Ronaldo gefüllt. Problematisch sind aber die Bewegungsabläufe in den Angriffen, die dabei erzeugt werden. Zu oft gehen sie dann ins Dribbling, auf die Seite zum Flanken oder greifen auf Distanzschüsse zurück; gegen Atlético gab es passenderweise über 20 Schüsse (!), aber keine einzige sauber herausgespielte Großchance.

In dieser Form dürfte Real in den nächsten Wochen und Monaten durchaus noch einige Probleme erhalten. Ancelotti wird sich überlegen müssen, ob er wieder auf ein 4-1-4-1/4-3-3/4-1-3-2 umstellt, eventuell ein 4-2-3-1 probiert oder einen der Starspieler auf die Bank setzt. Die Inklusion Iscos oder Illaramendis für James könnte einen enormen positiven Effekt bringen – doch will Präsident Florentino Perez den neuen Stareinkauf wirklich auf der Bank sehen?

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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