Frankreichs verrücktester Trainer ist ein Argentinier. Sein Name: Marcelo Bielsa. Und den Titel „verrücktester Trainer der Liga“ hielt er bisher in jedem Land, wo... Marcelo Bielsa: Der verrückteste Trainer der französischen Liga

marseille.jpgFrankreichs verrücktester Trainer ist ein Argentinier. Sein Name: Marcelo Bielsa. Und den Titel „verrücktester Trainer der Liga“ hielt er bisher in jedem Land, wo er seine Zelte aufschlug. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits ist es natürlich die Spielweise seiner Mannschaft, welche weltweit viele Nachahmer, aber keine Kopie auf diesem Niveau findet. Andererseits ist es auch schlichtweg seine Außendarstellung, die für Gelächter und Erstaunen sorgt.

Unorthodoxes Auftreten bringt Fans und Kritiker

Bielsa ist nicht nur extrovertiert, er ist auch indolent gegenüber jeglicher Kritik der Medien. Das liegt auch daran, dass er sie nach eigener Aussage als Gegner des Fußballs sieht. Deswegen gibt er keine Interviews, macht keine Reklame und wirkt auch in Pressekonferenzen entweder desinteressiert oder genervt. Vielfach hielt er Pressekonferenzen sogar so ab, dass er die gesamte Zeit auf seinen Tisch blickte und zwar die Fragen beantwortete, aber keinem der Fragensteller in die Augen blickte.

Nicht nur bei Pressekonferenzen ist Bielsa unorthodox. Auch bei seinem Verhalten auf dem Platz fällt er auf. Bei einem Spiel wurde er zum Beispiel beobachtet, wie er an der Seitenlinie immer die gleiche Schrittzahl auf und ab ging – und zwar exakt 13. Vor Spielen geht er auf den gegnerischen Platz und misst ihn eigenhändig nach, um die vom gegnerischen Verein angegebenen Dimensionen nachzuprüfen und eventuelle Differenzen in seiner taktischen Ausrichtung zu berücksichtigen.

Bei der täglichen Trainingsarbeit ist sein Verhalten auch auffällig. Seine Spieler sollen ihm schon skeptische Blicke zugeworfen haben, wenn er über 36 unterschiedliche Arten mit einem Pass zu kommunizieren spricht und ihnen beibringen will, welche Arten es gibt. Bei einem Training soll er sich auf seinem Schuh unterschiedliche Zonen aufgemalt haben, mit welchen Pässe auf eine bestimmte Art und Weise gespielt werden sollen. Damit nicht genug. Noch wenige Tage später lief er mit den gleichen Schuhen und der gleichen Zeichnung herum.

Aber wie schon erwähnt ist es nicht nur sein Verhalten, welches Aufsehen erregt. Seine Mannschaften helfen ebenfalls dabei.

Pressingwahnsinn

Chile 2010 sorgte für Furore bei der Weltmeisterschaft. Ihr 3-3-3-1/3-3-1-3-System galt als das offensivste der Weltmeisterschaft und ihr Trainer Bielsa fand zahlreiche Bewunderer. Bald heuerte Bielsa in Spanien bei Athletic Bilbao an, wo er ein ähnliches System implementierte. Ziel: Die hohe Balleroberung und Dauerdruck auf den Gegner.

Die Mannschaften von Bielsa – auch heute bei Olympique Marseille in der französischen Ligue 1 – versuchen maximale Intensität aufzubauen. Das beginnt mit einem hohen Pressing, im Normalfall schon am gegnerischen Strafraum und nur selten zwanzig Meter vor der Mittellinie. Der Gegner soll im Idealfall nur mit einem freien Innenverteidiger aufbauen dürfen, der dann flexibel von den Stürmern verschlossen wird. Damit möchte man lange Bälle des Torwarts verhindern, aber den freien Innenverteidiger von Anspielstationen isolieren und dann attackieren.

Zur Umsetzung nutzt Bielsa ein Deckungsssystem, welches dem modernen Fußball eigentlich zuwiderläuft.

Manndeckungen für den Zugriff

Spätestens in den letzten Jahren hat sich die Raumdeckung im zeitgenössischen Fußball durchgesetzt. Zwar gibt es einige wenige Mannschaften mit Manndeckung, im Normalfall beschränkt es sich auf einzelnen Zonen, Positionen oder Gegenspieler sowie situative Mannorientierungen aus einer Raumdeckung heraus. Bielsa hingegen hält strikt an der Manndeckung fest. Diese ist in Südamerika und den Niederlanden zum Beispiel noch weit verbreitet, wird aber auch dort kaum in einer so extremen Interpretation wie bei Bielsa verfolgt. Seine Spielweise erinnert fast an den Amateurfußball, trotz formativer Flexibilität und Umstellungen je nach Gegner.

Ziel ist es mit diesen Manndeckungen immer Druck auszuüben und bei jedem Pass des Gegners den Passempfänger direkt in einen Zweikampf verwickeln zu können. Man möchte dem Gegner vom Kombinationsspiel abhalten. Allerdings ist das gefährlich, weil der Gegner bei guter Bewegung und intelligenter Spielweise weite Räume öffnen kann. Bielsa ist hierbei zu extrem und zu versteift auf seine Manndeckungen, obgleich er begonnen hat sie marginal anzupassen.

Schon immer hatten sie einen freien Spieler in der Abwehrreihe als Libero, doch bei Marseille variiert die Anzahl der Raumdecker und ihre Zone. Manchmal wird mit drei freien Spielern agiert, welche sich allesamt im Zentrum befinden, allerdings in unterschiedlichen Linien. Sie übernehmen jedoch situativ Manndeckungen, um keine offenen Gegenspieler in Ballnähe zu erlauben.

An sich ist diese Spielweise effektiv, bei starken Gegnern und mit fortschreitender Spieldauer wird sie aber kontraproduktiv. Paris Saint-Germain öffnete letztens teilweise sehr effektiv Räume in OMs Formation und konnte trotz ansonsten mäßiger Leistung den Sieg davontragen.

Bielsas Pressing mag zwar spektakulär sein, effizient und effektiv ist es aber nur punktuell. Insofern ist es ungewöhnlich, dass Bielsas Pressing so extrem gelobt wird.

Unterschätztes Ballbesitzspiel

Das eigentlich Beeindruckende ist nämlich, wie gut Marseille in eigenem Ballbesitz ist. Ihr Bewegungs- und Kombinationsspiel ist technisch hochwertig, die Rollenverteilungen der einzelnen Spieler entsprechen den Stärken und trotz sehr weiträumiger Spielweise und vielen Positionswechseln können sie im Normalfall die Verbindungen zueinander halten. Marseille ist nicht umsonst das torgefährlichste Team der französischen Liga und erspielt sich viele Chancen im letzten Drittel. Nur wenige Mannschaften können mit ihnen mithalten, wenn sie nach vorne spielen.

Allerdings haben sie auch einzelne Probleme, trotz des tollen Rhythmus´ und des dynamischen Spiels in die Spitze. Oft gibt es zu viele Flanken, die nicht effizient sind. Jedoch gibt es darauf gute Folgeaktionen (Gegenpressing, Spiel auf den zweiten Ball, Ablagen) und so können sie sich auch nach schlecht gespielten Hereingaben noch eine Chance auf einen effizienten Torabschluss aufrechterhalten.

Ein anderes Problem ist, dass sie durch die erwähnte weiträumige Spielweise nach Ballverlusten im Gegenpressing nicht griffig genug sind und dadurch überspielt werden können. Hier sind sie anfällig, obwohl ihre schiere Intensität und die meist genutzte Dreierkettenabsicherung natürlich vorteilhaft sind. Dennoch haben sie sich effektiv aus dem Titelrennen verabschiedet; ihre Spielweise ist schlichtweg nicht erfolgsstabil über 90 Minuten zu spielen.

Probleme in der Physis und Stabilität

Manndeckungen, extremes Pressing und dauernder Angriffsfußball: Bielsa sagte einst, würde man Fußball mit Robotern spielen, würde er keine Partie verlieren. Dem ist natürlich zu widersprechen, weil Manndeckungen nicht einmal was für Roboter, sondern eigentlich „nur für Esel sind“ (Zitat Ernst Happel). Ein Kern Wahrheit enthält die Aussage dennoch. Häufig ist Bielsas Mannschaft dem Gegner überlegen, öffnet aber mithilfe einzelner Fehler oder nachlassender Kraft im Spielverlauf Räume und somit Chancen für den Gegner, welche viele der Niederlagen Bielsas verantworten.

Insofern kann man sogar sagen, Bielsa ist taktisch-strategisch überschätzt. Einzelne Punkte seiner Spielphilosophie könnten überarbeitet werden und ihn erfolgreicher machen. Aber vielleicht will Bielsa das gar nicht – es gäbe sonst nämlich weniger Spektakel in seinem Fußball. Und weniger Bielsa.

René Maric, www.abseits.at

Rene Maric

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