In dieser Rubrik nehmen wir regelmäßig interessante Spielzüge unter die Lupe und wollen diese im Detail analysieren. Dabei wollen wir uns nicht ausschließlich auf... Spielzug der Woche: Das Pressing von Chile gegen Deutschland

Flagge ChileIn dieser Rubrik nehmen wir regelmäßig interessante Spielzüge unter die Lupe und wollen diese im Detail analysieren. Dabei wollen wir uns nicht ausschließlich auf Tore und Offensivaktionen beschränken, sondern auch gelungenen Defensivaktionen die gebührende Aufmerksamkeit schenken. In diesem Artikel sehen wir uns das Pressing von Chile gegen Deutschland an.

Die Partie zwischen Deutschland und Chile war für viele die interessanteste im Rahmen der jüngsten Länderspielpause, was vor allem mit der Spielweise der Südamerikaner zusammenhing. Zwar mussten diese sich in Stuttgart 0:1 geschlagen geben, hatten aber eine Reihe großer Chancen. Zurückzuführen war das in erster Linie auf ihr aggressives Pressing, dem wir uns in diesem Artikel widmen wollen.

Der Spielzug im Überblick

Wir sehen uns eine Szene aus der 26. Minute an. Deutschland fand in der gegnerischen Hälfte kein Mittel gegen die kompakten, wenngleich auch ungeordnet scheinenden Chilenen und wollte das Spiel von hinten heraus aufbauen. Mit Manuel Neuer haben sie dafür einen geeigneten Torhüter, der teilweise weit aus dem Strafraum herausrückt und so oft der entscheidende, freie Mann ist.

Auch in dieser Aktion beteiligt sich der Bayern-Schlussmann stark am Spielaufbau, spielt sogar die meisten Pässe – unter anderem auch den Fehlpass, der den Chilenen eine große Torchance eröffnet. Jedoch wird diese von den Gästen nicht genutzt. Dafür erkennt man sehr gut die stark mannorientierte Spielweise, auf die wir nun genauer eingehen wollen.

1.) Verzögern des Spielaufbaus

Das Pressing ist eine kollektive Spielstrategie zur Balleroberung und wird demnach von mehreren Spielern ausgeführt. Das heißt aber auch, dass es im Allgemeinen nicht förderlich ist, wenn nur einzelne Spieler den Gegner anlaufen – auch wenn es landläufig impliziert, dass sich diese defensiv mehr aufreiben würden. Daher braucht es bestimmte Auslöser, die im Vorhinein festgelegt werden. Man wird dies auch in diesem Spielzug erkennen.

Hier sieht man, dass Deutschland viel Platz in der eigenen Hälfte hat. Chile muss nämlich erst aus seiner tiefen Position, die man vorher eingenommen hatte, nach vorne kommen. Dementsprechend wäre es unsinnig, wenn hier das Pressing bereits in voller Intensität aufgefahren wird. Deutschland steht, auch dank der aktiven Spielweise von Neuer, in einer fünf-zu-drei-Überzahl. Der rechte Sechser lässt sich zurückfallen, vervollständigt das Passdreieck und fordert, wie man im obigen Bild erkennen kann, den Ball.

Der Torhüter entscheidet sich aber dafür, den Ball zum rechten Innenverteidiger zu spielen. Genau das wollte Chile in dieser Situation erreichen. Der linke Stürmer öffnet nämlich diesen Passweg stärker als jenen zur Mitte. Zwar wäre der abkippende DFB-Sechser anspielbar gewesen, jedoch wäre er leichter unter Druck zu setzen, was mit dem nächsten Schritt in der Vorgehensweise der Chilenen zusammenhängt.

2.) Strukturiertes Nachrücken der Zentrumspieler

Man erkennt im obigen Bild bereits, dass der rechte DFB-Sechser von einem Gegenspieler verfolgt wird. Dieser lässt ihn dann aber wieder los und konzentriert sich darauf, das Zentrum kompakt zu halten. So bekommt der abkippende Deutsche viel Raum und schließlich auch den Ball, was Chile zunächst nicht stört.

Die Gäste wollen die Anspielstationen nach vorne zustellen, sodass der Ball bestenfalls tief in der deutschen Spielfeldhälfte hin- und hergeschoben wird. Erst wenn die Ordnung bzw. Zuteilung passt, setzt man den Ballführenden unter Druck. Hier ist es Charles Aranguiz, der aus der Tiefe mit Tempo nach vorne stößt. Kurz zuvor war er noch weit in der eigenen Hälfte; da er keinen direkten Gegenspieler hat, läuft er den Ballführenden nun an. Die beiden anderen Zentrumspieler agieren hingegen abwartender und orientieren sich nach hinten.

Aufgrund dessen, dass es praktisch keine Anspielstation gibt, dreht sich der Ballführende. Dies ist das Zeichen für die zunächst abwartenden Zentrumspieler ebenfalls nach vorne zu gehen. Man erkennt dies im obigen Bild an der Körperhaltung des Chilenen am rechten Bildrand. Bereits zum Zeitpunkt des Passes läuft er in Richtung des Gegenspielers, der angespielt wird.

3.) Pressingresistenz rettet Deutschland Ballbesitz

Genau das ist der eingangs erwähnte Auslöser für das Attackieren. Nachdem sich die Chilenen den Gegner davor sozusagen zurechtgelegt haben, wollen sie nun durch aggressive Zweikampführung den Ball erobern. Allerdings gelingt es den Deutschen aufgrund der hohen individuellen Klasse der Einzelspieler, den Ballbesitz zu sichern.

Hier sieht man, dass sich Chile zu dritt blitzschnell zusammenzieht – man vergleiche die Positionen mit jenen am Bild davor. Eine unsaubere Ballmitnahme oder ein Zögern beim Abspiel und Deutschland wäre den Ballbesitz los. Wie man am rechten Bildrand sieht, reagiert aber der linke Flügelspieler gut und rückt ein.

Nachdem er angespielt wird ereilt ihn jedoch dasselbe Schicksal wie seinen Mitspieler; er wird umgehend von mehreren Spielern attackiert und muss den Ball wieder nach hinten spielen.

4.) Chile lässt sich nicht wegziehen

Nachdem sie sich aus dieser Enge nicht herauskombinieren konnten, versuchen die Deutschen nun, den Raum zu vergrößern. In den vorangegangenen Schritten haben sich vermehrt Spieler nach hinten fallen lassen, in der Folge wollen sie ihre Gegenspieler mit Läufen nach vorne wieder wegziehen.

Man erkennt dies in diesem Bild am rechten Sechser in der Nähe der  Mittellinie. Er läuft ins Zentrum und will damit den Passweg auf den rechten Außenverteidiger öffnen. Chiles linker Stürmer orientiert sich nach außen, was theoretisch einen Pass auf den Rechtsverteidiger auch realisierbar machen würde. Allerdings sieht man am unteren Bildrand, dass dieser ebenfalls mannorientiert zugestellt ist.

Es folgt daher ein erneutes Zuspiel auf den rechten Innenverteidiger. Wieder versucht ein deutscher Spieler seinen Gegner wegzuziehen und Platz zu machen, wie man am rechten Bildrand sieht. Man erkennt aber auch, dass Chile diesem Ablauf entgegenwirken will. Der entsprechende Chilene deutet mit seinen Händen an, dass sein Gegenspieler übernommen werden soll. Der Rest des chilenischen Teams ist ebenso bestrebt weiter hoch zu stehen.

5.) Lokale Überzahl erzwingt unsauberes Zuspiel

Daher kommt es zu einem weiteren Rückpass und der Torhüter ist wieder in Ballbesitz – wie schon zu Beginn dieser Szene. Allerdings haben sich die Voraussetzungen stark geändert. Während die Deutschen damals noch kaum Druck hatten, ist dieser mittlerweile enorm groß. Neuer hat zwar potenziell vier Anspielstationen, aufgrund der guten Bewegungen der Chilenen wird er aber zu einem schnellen und unpräzisen Pass gezwungen.

Der anlaufende Chilene hat einen Gegenspieler im Deckungsschatten und der rechte DFB-Verteidiger ist zugestellt, sodass nur mehr der zuvor abgekippte Sechser an der Strafraumgrenze als Anspielstation übrig ist. Chile erwartet dieses Zuspiel selbstverständlich und läuft umgehend an. Selbst wenn der Pass genau gekommen wäre, wäre ein Ballbesitzwechsel äußerst wahrscheinlich gewesen.

Fazit

Alleine anhand der steigenden Anzahl an Artikeln, die sich mit dem Pressingverhalten verschiedenster Mannschaften beschäftigt, erkennt man, dass es sich mittlerweile zum unabdingbaren Instrument für erfolgreiche Teams entwickelt hat. Es gilt jedoch die verschiedenen Herangehensweisen zu unterscheiden. Der FC Augsburg agiert beispielsweise raumorientiert, sodass weniger „leere Meter“ gemacht werden. Chile setzt hingegen auf einen höheren Grad an Manndeckung, weshalb ihr Pressing intensiver wirkt. Umso wichtiger ist es, dass man die gewonnen Bälle auch im gegnerischen Tor unterbringt – vor allem wenn man dem Ruf als WM-Geheimfavorit gerecht werden will.

Alexander Semeliker, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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