Ein gestandener Amstel-Bua läßt sich nicht zweimal bitten, wenn er folgenden Satz hört:... Groundhopper’s Diary | Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!

Ein gestandener Amstel-Bua [Autor Christian Ditz ist Mitglied des Rapid-Fanklubs Grün Weiß Amstel, Anm.] läßt sich nicht zweimal bitten, wenn er folgenden Satz hört: „Wenn Sie mal Karten fürs deutsche Pokalfinale brauchen, melden Sie sich.“ So geschehen letzten Herbst, als ich beruflich Kaj von der Humboldt Universität Berlin kennenlernte. Der ist auch ein großer Fußballfan und langjähriger freiwilliger Helfer bei ebenjenem Pokalfinale im Berliner Olympiastadion (1.800 Bewerbungen für 400 Plätze). Bei knapp einer halben Million Kartenanfragen gelang über diesen Kontakt tatsächlich das für unmöglich Gehaltene, zwei Tickets zu ergattern für den Kampf der aktuellen Titanen im deutschen Klubfußball, Dortmund gegen Bayern, regierender Meister gegen Champions League Finalist. Hotel im Stadtteil Charlottenburg unweit des Stadions gebucht, Auto vollgetankt und los geht’s: „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin.“

Ankunft Freitagnachmittag, auf der kompletten Strecke in die Hauptstadt noch kein Anzeichen dafür, dass hier in knapp 30 Stunden ein Fußballspiel angepfiffen wird. Keine Fans, keine Fahnen, keine Trikots, keine Schals. Beim Kennenlernen der Berliner Currywurst am Stutti (Stuttgarter Platz) machen wir dafür gleich mal Bekanntschaft mit der Berliner Schnauze: „Das heißt Currywurst ohne bei uns.“ „Wir trinken hier bei uns Berliner Kindl und sind stolz darauf.“ Zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig, aber wenn sich einmal darauf eingestellt hat, fast wie das Wiener Grantlertum.

Die Abendgestaltung zeigt sich wesentlich angenehmer. Die Ticketübergabe durch Kaj und seine Frau wird fortgesetzt mit deftigem Berliner Essen im Nikolaiviertel. Die nächste lokale Spezialität, Berliner Weiße Grün (oder war’s Berliner Grün-Weiße?) mundet vorzüglich zu Sauerbraten und Krustenbraten. Zum Abschluss bekommen wir noch die Lichter der Großstadt zu Gesicht, auf 208 Metern Höhe im Panoramarestaurant des Funkturms findet der Abend einen beeindruckenden Ausklang. Und hier oben wird dann auch schon das erste gelb-schwarze Trikot gesichtet.

Samstag, Matchtag, Sightseeing in der Innenstadt. Am Ku’damm zeigt sich, was Kaj am Vorabend angedeutet hat: „Die Dortmund-Fans sind zu Zehntausenden hier, machen Party, und wenn sie den Pokal holen, wird die Nacht zum Tag gemacht. Die Bayern-Fans hingegen reisen mit dem Bus an, gewinnen in der Regel das Spiel und fahren nachher gleich wieder heim.“ Gelb-schwarz, wohin man blickt, der Ku’damm als Zentrum und Treffpunkt der Dortmunder Fanscharen. Im Karstadt Sport, im Restaurant des KaDeWe unter der ansprechenden Glaskuppel im obersten Stock – nach dem Fanaufkommen und der Stimmgewalt ist klar, wer den Titel holen wird. Einzig der Adidas-Store zeigt sich als Bayern-Enklave, eine Blaskapelle spielt und die roten Trikots gehen fast ebenso zahlreich weg wie die Brezen, die gratis verteilt werden. Grob geschätzt zählt man untertags locker 100 Gelbe auf einen Roten.

Am Weg Richtung Osten und damit Richtung ehemaliges Ostberlin werden vor allem rund um den Potsdamer Platz die roten Fanutensilien zahlreicher, aber bereits beim Brandenburger Tor dominieren wieder die Gelben. Hunderte Fans lassen sich vor dem Berliner Wahrzeichen ablichten, Schauspieler in russischen oder DDR-Uniformen posieren, Darth Vader schwingt ein Plastiklichtschwert, Tänzer performen Unter den Linden. Der Abend naht, mit der U-Bahn ins geht es ab ins Stadion. Jede Garnitur ist zum Bersten voll mit den Gelb-Schwarzen, Fangesänge werden angestimmt, die Stimmung immer ausgelassener, aber trotzdem friedlich und fröhlich. Positiv überraschend auch die fairen Preise vor dem Stadion, Bier um 3,50€, Riesenbratwurst um 2,50€. Verständigungsschwierigkeiten mit dem Wurstmann malen ein breites Grinsen aufs Gesicht: „Sie brauchn de Semmerl net auf den Grülla haun.“ – „Wat?“ – „Sie müssen die Brötchen nicht auf den Griller legen.“ – „Ach so.“

Die Plätze im Stadion sind in der Nähe des Bayern-Sektors in der dritten Reihe, in unmittelbarer Nähe der Expertenrunden von Sky und ZDF. Titan Kahn, Kaiser Franz, Hitzfeld, Lehmann und Dirty Harry Schmidt sitzen bei kühlen Temperaturen im Scheinwerferlicht. Rund um uns mehrheitlich Dortmund-Fans, nur links hinten ein Grüppchen Bayern-Anhänger. Noch vor Spielbeginn werden wir als Österreicher enttarnt. Das Spiel steht der Inszenierung vor dem Anpfiff um nichts nach, die Gelb-Schwarzen kommen voll auf ihre Kosten. Im Bayernblock wird es immer ruhiger, während es von der anderen Seite des Stadions immer öfter „Ein Schuss, kein Tor, die Bayern!“ hallt. Zur Pause fragt uns ein Dortmunder, wie wir im Vergleich mit der österreichischen Liga mit dem schnellen Direktspiel von Klopps Truppe zufrieden seien. „Das ist halt schon was ganz Anderes und auch wirklich schöner anzuschauen,“ ist unsere Antwort, garniert mit: „Ich hab mir mal ein österreichisches Ligaspiel aufgezeichnet und dann in doppelter Geschwindigkeit angeschaut, weil’s so fad war. Das war immer noch langsamer als die Halbzeit hier.“ Da hatte er was zu lachen, der Dortmunder Junge.

In Hälfte zwei geht es weiter wie vorhin, die Bayern-Ecke hinter uns sagt gar nichts mehr, die Dortmunder fordern: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus.“ Trotz mehrmaliger Aufforderung der mehr als 40.000 Gelben will der Herr im roten Trikot hinter uns seine Lederhose dann aber doch nicht hergeben. Unser Dortmunder von der Halbzeit verteilt nach dem 3. Tor von Lewandowski Taschentücher an seine Kollegen, um den Roten auf Wiedersehen zu winken. Schlusspfiff: das erste Double der Vereinsgeschichte ist perfekt, auf den Rängen gibt es kein Halten mehr! Die Gelben liegen einander in den Armen, der rote Sektor ist binnen zehn Minuten wie leergefegt. Die Bayern-Fans sitzen anscheinend schon wieder in ihren Bussen gen München. Tonnenweise Konfetti und Glitzerstreifen verwandeln das Stadion zum Abschluss in ein goldenes Meer. In Berlin wird wie angekündigt die Nacht zum Tag gemacht, in der Public Viewing Zone Waldwiese, wo sich auch zwischen 20.000 und 30.000 Gelbe tummeln, wird so wie am Ku’damm durchgefeiert.

Ein einmaliges Erlebnis neigt sich dem Ende zu, als Österreicher weiß man nicht, ob man im Vergleich zum armseligen Dasein des Stiegl-Toto-Samsung-Keine-Sorgen-Was-auch-immer-Cups Lachen oder Losheulen möchte. Danke nochmal an Kaj für die Tickets, bei so etwas dabei sein zu können, ist mit Gold nicht aufzuwiegen.

Christian Ditz, abseits.at

Christian Ditz

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