Im zweiten Teil wurde Augenmerk auf die Entwicklung von Ajax Amsterdam unter der Leitung von Rinus Michels gelegt und auch die ersten nationalen und... Totaalvoetbal (3/5) – Der Durchbruch des totalen Fußballs

Im zweiten Teil wurde Augenmerk auf die Entwicklung von Ajax Amsterdam unter der Leitung von Rinus Michels gelegt und auch die ersten nationalen und internationalen Glanzauftritte beleuchtet. Der totale Fußball war trotz erster großer Erfolge im Spiel der Amsterdamer noch nicht richtig ausgeprägt, Ajax stand nun allerdings unmittelbar davor, das eigene Spiel zu revolutionieren. Der dritte Teil zeigt, wie das System unter Michels weiter verändert wird und welche „Geheimwaffen“ Ajax zur europäischen Fußball-Supermacht werden lassen.

Auch nach der Finalniederlage im Europapokal der Landesmeister 1969, bei der Ajax durch den AC Milan teilweise doch noch deutliche Grenzen aufgezeigt wurden, hielt Michels an seinem 4-2-4-System weiter fest. Der serbische Innenverteidiger Velibor Vasovic hatte mittlerweile eine wichtige Sonderstellung in der Ajax-Verteidigung inne. Vasovic ließ sich, wenn es die Situation erforderte, teils hinter die eigene Verteidigungslinie, auf die für damalige Zeiten klassische Position des Libero, zurückfallen. Ihm kam aber auch offensiv eine wichtige Aufgabe zu. Nachdem die Schwäche des 4-2-4 augenscheinlich im dünnen Mittelfeld lag, verlagerte Vasovic seinen Tätigkeitsbereich auch vor die eigenen Verteidiger, um das Mittelfeld im Spielaufbau zu stärken.

Das große Problem zeigte sich unter Michels´ System allerdings bei Ballverlust. Mit dem 4-2-4 war es für Ajax sehr schwierig verlorene Bälle zurückzuerobern bzw. waren die Niederländer somit bei Kontern sehr verwundbar und auch ein flexibler Defensivallrounder wie Vasovic, welcher im Grunde pro Partie bis zu drei verschiedene Positionen spielte, vermochte diesen verwundbaren Punkt der eigenen Mannschaft nicht abzudecken. Nachdem Arsenal im Halbfinale des Messepokals 1970 Ajax mit 3:0 besiegte, bezeichnete der damalige Arsenal-Trainer die Spielweise der Amsterdamer sogar als amateurhaft.  Es zeigte sich also, dass das 4-2-4 in der Offensive durchaus brauchbar war. Gegen defensiv gut eingestellte Mannschaften, die bei Balleroberung schnell umschalten konnten, kam dieses Spielsystem jedoch eindeutig an seine Grenzen. Dies veranlasste Michels nun doch neuerlich an seinem System zu schrauben.

Nochmalige Systemumstellung und totaler Fußball

Michels stellte die Mannschaft um, blieb seiner offensiven Linie allerdings treu und änderte sein System in ein 4-3-3, wobei Vasovic wieder ein zentraler Part zukam – beinahe im wahrsten Sinn des Wortes.

Die erfolgte Stärkung des Mittelfeldes ging klarerweise auf Kosten der Offensive, was bei Ballbesitz bzw. Balleroberung natürlich gar nicht im Sinne Michels´ war. Daher erhielt Vasovic die Order, wann immer es ihm möglich war, aufzurücken und damit das 4-3-3 in ein 3-4-3 zu verwandeln, um weiterhin zu gewährleisten, dass die Mannschaft in der Vorwärtsbewegung sofort großen Druck aufbauen konnte. Trotzdem bildete der Serbe stets das Rückgrat der Abwehr und gemeinsam mit seinen Defensivkollegen stellte Ajax zu dieser Zeit eine Weltklasse-Verteidigung.

Das Spiel der Niederländer verlegte sich auch mehr und mehr Richtung Pressing. Anfänglich lieferte sich der torgefährliche Mittelfeldspieler Neeskens, welcher 1969 zur Ajax-Mannschaft stieß, noch im Alleingang Verfolgungsjagden mit den jeweils ballführenden gegnerischen Spielern, Anfang der 70er folgte ihm jedoch die ganze Mannschaft und das Spiel von Ajax veränderte sich noch einmal deutlich. Zwar behielt Michels sein 4-3-3 bzw. 3-4-3 nun bei, es manifestierten sich nun aber entscheidende Komponenten hin zum totalen Fußball: Ajax spielte mit einer hoch stehenden Verteidigung, um das frühe Pressing zu gewährleisten und den Gegner zum schnellen Ballverlust zu zwingen. Des Weiteren war das Aufziehen einer aggressiven Abseitsfalle bei den Amsterdamern mittlerweile Standard. Ebenso war die Viererkette bei Ballbesitz des Gegners Usus und noch ein weiterer Umstand machte das Defensivspiel von Ajax einzigartig: die Raumdeckung.

Die hoch stehende Verteidigung sowie das Aufziehen der Abseitsfalle machte die Räume für die Gegner schon im Mittelfeld sehr eng, das enorme Pressing der gesamten Mannschaft setzte den Gegner zusätzlich unter Druck. Spielte die gegnerische Mannschaft mit einigen technisch versierten Spielern, war dies oftmals ein entscheidend kompensierender Faktor, um den Gegner seiner spielerischen Mittel zu berauben. Die Raumdeckung ergab sich übrigens nicht nur als Notwendigkeit, um die Viererkette stabil halten zu können, sie ermöglichte darüber hinaus auch das schnelle Umschalten bei Ballgewinn, was wiederum dem von Michels geforderten 3-4-3 bei Ballbesitz zu Gute kam.

Doch auch die aggressiv eingesetzte Abseitsfalle und das praktizierte Pressing konnten eine direkte Symbiose eingehen. Der Brasilianer Marinho spielte von 1974 bis 1975 beim FC Barcelona, welches seit 1971 von Michels trainiert wurde. Michels ließ natürlich auch bei den Katalanen den totalen Fußball spielen und der neu angekommene Marinho wusste folgende Geschichte zu erzählen:

In seinen ersten Trainings bei Barcelona tat sich der brasilianische Verteidiger sehr schwer, die „aktive“ Abseitsfalle einzustudieren, da dies in Brasilien und daher auch bei seinen bisherigen Vereinen nicht praktiziert wurde. Irgendwann funktionierte es aber auch mit Marinho im Verbund und gerade als dieser anfing sich zu freuen, endlich mehrere gegnerische Spieler durch die Abseitsfalle gleichzeitig aus dem Spiel zu nehmen, kam Michels auf ihn zugelaufen und schrie ihn und die restlichen Verteidiger an.

Denn durch das aus-dem-Spiel-nehmen einiger gegnerischer Akteure, aufgrund der geschickten Abseitsstrategie, schaffte Barcelona damit kurzfristig eine Überzahlsituation, welche durch sofortiges Attackieren und Pressing ausgenützt werden soll, bevor der Gegner sich wieder neu ordnen kann – und genau dies hatte die Verteidigung versäumt. Dieses Beispiel deutet bereits an, wie fordernd der totale Fußball auch auf geistiger Ebene war. Doch zurück zu Ajax Amsterdam.

Es zählen nur Räume

Vereinfacht könnte man sagen, dass die Spieler von Ajax zu dieser Zeit vom Raumdenken geradezu besessen waren. Präziser ausgedrückt ging es um genau drei Fragen, die das gesamte Spiel, defensiv wie offensiv, beherrschten:

1. wie kann ich den Raum für den Gegner (frühestmöglich) klein halten, wenn dieser in Ballbesitz kommt?

2. wie kann man den Raum, der sich einem bei Ballbesitz/Balleroberung bietet, maximal nutzen?

3. wie kann man (möglichst ständig) zusätzlich neue Räume öffnen, wenn die eigene Mannschaft in Ballbesitz ist?

Die Defensivarbeit wurde bereits oben beschrieben beziehungsweise das Vorgehen, wenn sich die gegnerische Mannschaft in Ballbesitz befindet. Bei eigenem Ballbesitz wurde die Sache allerdings noch etwas schwieriger, da die Gegner sich natürlich recht bald auf das Spiel der Amsterdamer einstellten und sich dementsprechend oft mit einem Abwehrriegel hinten postierten.

Um dieser Maßnahme entgegen zu wirken, fingen die Spieler von Ajax an, ständig Positionsrochaden zu betreiben, um Unordnung in der gegnerischen Abwehr zu erzeugen und damit Räume zu öffnen, um das eigene Spiel voranzutreiben. Zu diesem Zeitpunkt gab es durchaus bereits Mannschaften, die Rochaden in der Form betrieben, dass z.B. der Flügelstürmer bei einem Angriff in die Mitte zog, oder umgekehrt der Mittelstürmer einmal am Flügel auftauchte. Doch auch hier übernahmen die Niederländer eine Pionierrolle, indem sie auch entlang der Außenpositionen die Rollen mehrfach tauschten.

Die Überlegung, die dahinter stand, war, dass, wenn sich zum Beispiel ein Außenverteidiger in den Angriff einschaltete, er in einen freien, ungedeckten Raum sprinten konnte bzw. schon alleine durch den Vorstoß des Außenverteidigers sich die gegnerische Verteidigung gezwungen sah umzustellen, was oftmals zu freien Räumen, oder im weiteren Verlauf der Angriffsaktion zum Schaffen von freien Räumen führte.

Wichtig bei dieser Spielweise war natürlich auch, dass jede Position, die in der eigenen Mannschaft durch das Suchen und Schaffen von Räumen frei wurde, von einem Mitspieler nachbesetzt werden musste. Dabei war es auch eher zweitrangig, ob zum Beispiel der Mittelfeldspieler, der gerade für den vorstoßenden Außenverteidiger nach hinten gerückt war, die Position des Außenverteidigers auch tatsächlich gut beherrschte. Er musste in erster Linie einfach nur da sein. Vielseitigkeit war aber natürlich kein Nachteil.

Mentale und körperliche Erschöpfung

So erfolgreich sich dieses System in den nächsten Jahren auch zeigen sollte, den Spielern wurde dabei auf psychischer und physischer Ebene teilweise alles abverlangt. Michels und sein Team begannen, mit Ernährungs- und Trainingsplänen zu arbeiten und auch der Einsatz verbotener Substanzen, welche zur Leistungssteigerung auf geistiger wie körperlicher Ebene beitrugen, scheint naheliegend, auch wenn es nie einen konkreten Verdachtsmoment im Rahmen von Ajax-Spielen zu dieser Zeit gab und die Niederländer damals mit Sicherheit nicht die einzigen waren, die mit leistungssteigernden Präparaten “experimentierten”.

Trotz allem konnten aber auch die Amsterdamer “Großmeister” des totalen Fußballs das enorme Pressing und die immensen Laufwege, die auch die laufenden Positionsrochaden mit sich brachten, kaum länger als 60 Minuten aufrecht halten.

Dies genügte in der Regel allerdings auch, um die restliche Spielzeit oftmals von einer komfortablen Führung zu zehren. Die Sammlung an Titeln, die Michels´ Mannschaft seit seinem Amtsantritt erringen konnte, war mittlerweile beeindruckend. Rechnet man das Jahr 1970 mit ein, holte Ajax in fünf Jahren insgesamt sechs nationale Titel (4 Meistertitel, 2 Cupsiege) und stand 1969 im Finale des Europapokals der Landesmeister. Doch es sollte noch weiter bergauf gehen, auch wenn ein schmerzhafter Abgang bevorstand.

JK, www.abseits.at

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