Gestern drehten sich die Schlagzeilen schon wieder um Vertragsverlängerungen, Transfers und den notwendigen sportlichen Umbau in der Hansestadt. Dabei war es nur einen Tag... Kommentar | Der Dino wankte, aber fiel nicht

Hamburger SVGestern drehten sich die Schlagzeilen schon wieder um Vertragsverlängerungen, Transfers und den notwendigen sportlichen Umbau in der Hansestadt. Dabei war es nur einen Tag her, dass der Hamburger SV in einem Herzschlagfinale sich doch noch den Klassenerhalt sichern konnte und damit verhinderte, dass die „Dino“-Uhr in der Imtech-Arena erstmals seit über 50 Jahren zum Stillstand gekommen wäre. Es war die schlechteste Saison seit der Gründung des HSV: Mit nur 27 „Pünktchen“ standen die „Rothosen“ nach dem letzten Spieltag der Bundesliga auf dem 16. Platz der Tabelle und mussten zum „Nachsitzen“ gegen Greuther Fürth antreten. Dem Zweitligisten konnte man zuhause (!) ein mühsames 0:0 abringen, am Sonntag ging man aber nach einem 1:1-Unentschieden dank der Auswärtstor-Regel als „Sieger“ vom Platz. „UNABSTEIGBAR!“ – feierten Spieler und Fans als hätten sie gerade die Champions League gewonnen. So ähnlich dürfte das sich einstellende Gefühl auch gewesen sein: Ein schrecklicher Gedanken für jeden Kicker oder Funktionär auf ewig ein Teil JENES Teams gewesen zu sein, dass dem „Dino“ sein augenscheinlichstes Merkmal gekostet hätte.

Als Nostalgikerin haben es mir die „Rothosen“ seit jeher angetan. Nicht zuletzt aufgrund meiner Sympathie für Ernst „Wödmasta“ Happel, den erfolgreichsten Trainer der Hanseaten, oder meiner Schwäche für maritime Garderobe (Na gut, mit diesem Argument könnte ich auch Olympique Marseille oder Ajax Amsterdam unterstützen). „Hambourch“ mit seiner aktiven Fanszene zog mich aber einfach immer magisch an, obwohl ich mich trotz allem nicht als „Rauten“-Fan bezeichnen würde. Mir erscheint der Kultklub aus Norddeutschland einfach liebenswert und deshalb habe ich in den letzten Woche die Ergebnisse des langsam sinkenden HSV-Schiffs mit Schmerzen verfolgt.

Ab dem Pokal-Aus gegen die Bayern habe ich mir die Spiele sogar nicht mehr im TV angesehen: Irgendwie habe ich „meinen“ „Rothosen“ Unglück gebracht, denn immer wenn ich eingeschaltet habe, ließ der HSV Punkte liegen. Ab dem 2:1-Heimsieg gegen Leverkusen Anfang April (Ich habe das Spiel natürlich absichtlich nicht live im Fernsehen verfolgt) dachte ich tatsächlich, dass der Dino nochmals die Kurve kratzen würde. Doch irgendwann war die Relegation 2014 traurige Gewissheit.

Uwe hat es „oft wehgetan“

Der (nord)deutsche Menschenschlag redet nicht um den heißen Brei herum. Uwe Seeler, die Vereinslegende der „Blau-Weiß-Schwarzen“, sagte vor den beiden Relegationspartien: „Es ist natürlich schon sehr glücklich gelaufen, dass eben in den letzten fünf oder sechs Spielen, die anderen alle immer mit verloren haben.“ Die Hanseaten hatten tatsächlich „Schwein“. Denn noch am letzten Spieltag hatten sie zwar ihr Schicksal in den eigenen Händen, hätten aber auch noch zum Fix-Absteiger werden können. Mattersburg ‘13 lässt grüßen! Auch Fortuna Düsseldorf war mit 30 Zählern im letzten Jahr Siebzehnter und verließ damit ohne „zweite Chance“ die höchste deutsche Spielklasse. Die „Kinder des Glücks“ mussten also selbst für diese Möglichkeit dankbar sein, aber sie nahmen das Geschenk nicht an.

Tatsächlich war im ersten Endspiel wenig Positives zu berichten. Freitagabend sagte jemand zwei Tische entfernt von mir in einem Wiener Kultkaffeehaus: „Hamburg hat eh gespielt, aber Fürth hat hinten gemauert.“ Die meisten Zuschauer und auch HSV-Coach Slomka waren da anderer Meinung: „Wir haben eigentlich nicht das umgesetzt, was wir wollten. […] Auch Pierre (Pierre-Michel Lasogga, bester HSV-Torschütze 2013/2014) hatte wenige Möglichkeiten.“ Jener Pierre bescherte seinem Verein durch einen Kopfballtreffer nach Van-der-Vaart-Ecke nun aber den Verbleib in der Bundesliga. Ohne einen Auswärtssieg im Jahre 2014 eingefahren zu haben, ist der „Dino“ in der Bundesliga noch nicht „ausgestorben“. Sollte er aber in seiner „Urzeit“ picken bleiben, steht für die kommende Spielzeit wieder ein heißer Tanz im Tabellenkeller auf dem Programm. Schmerzhaft wenn Journalist und HSV-Anhänger Reichelt vor dem Hinspiel in Hamburg zu Protokoll geben musste: „Ich wüsste nicht, wie es nächste Saison besser werden sollte, wenn nicht genau das passiert: Der Gang in die 2. Liga und der Zwang zum Neuanfang.“ Der Klub selbst war sich dessen bewusst: Das Unternehmen „Klassenerhalt“ konnte großteils nur unter kräftiger Mithilfe der Gegner erfolgreich abgeschlossen werden. Unglaublich, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass die „Rothosen“ einst beim EL-Spiel gegen Rapid 2009 für ihren Fußball à la „wie ihn die Bayern zu ihrer besten Zeit gespielt haben“ gerühmt wurden. Ein Vorzeichen, dass die Hanseaten damals mit einer 3:0-Klatsche zurück an die Elbe geschickt wurden?

Strom abwärts

Seit 2009 zeigt die Kurve des Kultvereins nun kontinuierlich nach unten. Schuld daran sollen auch die veralteten Strukturen sein. Am Sonntag stimmen die Mitglieder deshalb über die Ausgliederung der Profi-Abteilung in eine Aktiengesellschaft ab. So erhofft man sich beim HSV den Einstieg neuer, zahlungskräftiger Sponsoren. Der Schuldenberg (100 Millionen Euro) wäre an sich für einen Fußballklub nicht so dramatisch, man munkelt jedoch, dass man sich im Vorstand nicht versteht und so nicht alle Kräfte bündeln kann. Besonders Oliver Kreuzer und Carl Jarchow müssen um ihre Plätze im HSV-Vorstand bangen. „HSVPLUS“, nennt sich jene Mitgliederinitiative, die sich eine Frischzellenkur auf Manager-Ebene wünscht. Unterstützt wird diese auch von Ex-HSV-Kickern wie Thomas von Heesen und Thomas Doll.

Nicht nur die Funktionäre und Klubstatuten waren aber dafür verantwortlich, dass der HSV bis zum Ende um seinen Verbleib in der obersten Spielklasse bangen musste.  Besonders im Fokus stand der Trainer: Thorsten Fink probierte viel aus und brachte wenig Zählbares, Bert van Marwijk war danach der falsche Mann am Platz. Dem Holländer fehlte der notwendige Weitblick. Schon im Winter hätte der Ex-Bondscoach erkennen müssen, dass es für die Hamburger eng werden würde, doch er schob trotzdem eine ruhige Kugel. Mirko Slomka, der „Feuerwehrmann“ aus Hannover, sollte bei den „Rothosen“, die eine Fanfreundschaft mit 96 pflegen, danach alles in die Waagschale werfen. Der gebürtige Hildesheimer musste aber zunächst Arbeit an der Basis verrichten: Wegen fehlender Fitness ließ er Zusatzeinheiten schieben. Slomka wagte und verlor zunächst: Mit Lasogga verletzte sich die „Lebensversicherung“ der Hanseaten (O-Ton Seeler), Jacques Zoua konnte wegen Blessuren erst wieder im Relegations-Rückspiel auflaufen (Dort musste er dann frühzeitig wegen einer leichten Gehirnerschütterung nach einem Zusammenprall vom Platz), Van der Vaart, der ja zu Fitness-Problemen neigt, quittierte das härtere Training mit muskulären Problemen, bei Ilicevic schmerzten Oberschenkel und Innenband, Arslan und Badelj mussten ebenfalls in Lazarett.

Die Physis machte den „Rothosen“ also einen Strich durch die Rechnung und sie verloren Punkt um Punkt. Coach Slomka versuchte alles – selbst Bio-Energetik und Motivationstraining. Die angeknacksten Kicker – wer keine körperlichen Leiden hatte, dem hing der Abstiegskampf zum Halse heraus- waren wie offene Schiffsschleusen: Alles fließt – Panta rhei – nur im negativen Sinne.

Bei Pressetermin hob Slomka die hohe Qualität eines Van der Vaarts oder Westermanns hervor, doch alle so Hochgepriesenen erwischten nicht ihre besten Partien. Der 46-jährige versuchte sämtliches Potenzial aus seinen „Jungs“ herauszukitzeln, doch teilweise merkte man nicht nur die fehlenden körperlichen Voraussetzungen für den Spitzenfußball der Bundesliga. Es schien beinahe so, als wollten manche Profis nicht mehr. War es Frustration oder fehlende Klasse – es spricht Bände, wenn Kapitän Van der Vaart nach dem ersten „Endspiel“ meinte: „Unsere Fans waren heute der beste Mann.“  Auch jetzt, wo die Horror-Saison ein für alle Mal Geschichte ist, steht immer noch nicht fest, wer in der nächsten Spielzeit das Trikot mit der Raute tragen wird.

Personalpolitik machen!

Ein Verein, bei dem in der jüngeren Vergangenheit noch Kicker, wie de Jong oder Barbarez als Stützen aktiv waren und von der Elbe den Schritt zu besseren Klubs wagten, muss sich heute mit zwei spielerischen „Assen“ begnügen. Lust auf mehr machten in dieser Rückrunde eigentlich nur Mittelfeldspieler Hakan Çalhanoğlu und der bereits angesprochene Goalgetter Lasogga. Beide sind (naturgemäß) nun auf dem Absprung: Çalhanoğlu will (Bayer 04 und die CL rufen!) und Lasogga muss möglicherweise gehen (Der Gladbecker ist an die Berliner Hertha gebunden und träumt von der Premier League). Top-Tormann Adler ist nach langer Verletzungszeit seit 2012 an der Elbe und bekam in dieser Saison alle Hände voll zu tun: „Ohne Adler hätte der HSV 100 Gegentore“, weiß „Kaiser“ Beckenbauer über den gebürtigen Sachsen, der in beiden Relegationsspielen wegen Bandscheibenproblemen passen musste. Rafael van der Vaart kam als Retter in die Hansestadt zurück, geriet aber fast ausschließlich wegen seines Privatlebens in den medialen Fokus. Der heute 31-jährige schaffte es nicht „seinen“ HSV ein zweites Mal nach 2005 „wachzuküssen“. Dafür musste der Nordholländer harte Kritik einstecken: Er sei kein tauglicher Mannschaftssportler und könne das Team nicht führen, musste sich der Kapitän der „Rothosen“ anhören. VdV war sichtlich mit der Situation überfordert, nur selten ging von dem „Zehner“ Gefahr aus. Routinier Westermann leistete sich in der Abwehr atemberaubende „Schnitzer“, Nationalspieler Jansen fiel lange aus und kam erst am 32. Spieltag wieder zum Einsatz. Rechtsverteidiger Diekmeier war im Herbst ebenso verletzt und spielte im Frühjahr oft zu schwach, Ivo Iličević, der in seinem dreijährigen Engagement bereits zehn größere Verletzungen durchlitten hatte, wurde seiner Rolle als Führungsspieler, wenn er dann spielte, nicht gerecht.

Fans und Medien fordern nun auch einen personellen Umbruch, doch vielfach muss man wohl feststellen, dass fast kein Kicker im Stande war, sein Können voll auszuspielen. Auf dem Papier war die HSV-Elf nie so schlecht, wie sie es auf dem Rasen war. Weiß Gott warum. „Wenn man Pech hat, dann hat man es ordentlich.“, würde Ex-Rapid-Präsident Edlinger zu einer solchen Situation sagen. Mag sein, dass dem HSV abseits von allem Verletzungsunglück und aller Formschwankungen auch die spielerische Klasse fehlt um im oberen Drittel der Bundesliga mitzuspielen. Es wartet eine spannende und schwere Aufgabe auf die zukünftige sportliche Leitung: Nach einer miserablen Saison müssen nicht nur talentierte Jungspunde an die Elbe gelotst werden, es fehlen v.a. auch ansprechende Führungspersönlichkeiten.

Vom Umbruch sprach man schon 2013, der damalige HSV-Trainer meinte zu diesem Zeitpunkt: Wir sind noch nicht reif für die Europa League.“ Der, der da sprach, war Thorsten Fink. Ein drohender Rekordverlust malte lange Schatten ans ehemalige Volksparkstadion, tatsächlich schrieb der HSV ein Minus von 9,8 Millionen. 2014 konnte man dies toppen: Im April musste man nicht mehr die Hoffnung auf mögliche internationale Spiele eindämmen, sondern stattdessen die gesamte Hansestadt auf die Relegation einschwören: Für nur 10 Euro wurde ein „Zusammenhalten-Klassehalten“-T-Shirt verkauft. Das sind andere Dimensionen.

Das letzte Spiel habe ich übrigens gesehen. Naja, nicht so wirklich. Ich bin abergläubisch und habe wegen meiner „Pechsträhne“, nur ab und an „in die Partie gezappt“. Die Erleichterung war aber auch bei mir schlussendlich riesengroß. Mit Genugtuung habe ich anschließend zur Kenntnis genommen, dass weder Kreuzer noch Slomka oder Lasogga den Klassenerhalt „schönreden“ wollten. Marcell Jansen sprach später von „zwei blauen Augen“, mit denen die Hamburger nochmal davon gekommen seien. Recht hat er und dieses Glück sollten die „Rothosen“ nicht überstrapazieren. Denn einmal reißt jede Serie und im Falle der Hamburger hieße das, dass sie ihre Uhr auf 00 000 00:00:00 zurückstellen könnten.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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