Bei dieser Weltmeisterschaft gab es einen großen taktischen Trend zu beobachten: Die Abkehr vom Dogma der Viererkette. Während bei der Weltmeisterschaft 2010 nur eine... Taktiktheorie | Dreier-, Fünfer- und pendelnde Viererkette (1)

Bei dieser Weltmeisterschaft gab es einen großen taktischen Trend zu beobachten: Die Abkehr vom Dogma der Viererkette. Während bei der Weltmeisterschaft 2010 nur eine einzige Nationalmannschaft ohne Viererkette agierte, so waren es bei dieser WM gleich mehrere Mannschaften, welche eine andere Spielweise in der Abwehr nutzten.

Chile überzeugte beispielsweise mit einer Dreierkette, Mexiko, Argentinien und ansatzweise die Niederlande spielten mit einer pendelnden Viererkette, während Uruguay und Costa Rica eine Fünferkette nutzten. In dieser zweiteiligen Serie soll geklärt werden, wo genau die Unterschiede dieser drei unterschiedlichen Umsetzungen einer grundsätzlich ähnlichen Ausrichtung und Staffelung liegen und welche strategischen Stärken, Schwächen und Kontermöglichkeiten es gibt. Im ersten Teil geht es um die drei großen unterschiedlichen Varianten der Umsetzung.

Die Dreierkette

Die in den Mainstreammedien am häufigsten genannte – und in der Realität am seltensten genutzte – Spielweise ist die Dreierkette. Hierbei muss man natürlich erwähnen, dass auch bei einer Dreierkette häufig vier oder fünf Spieler in einer Linie agieren können. Entscheidend ist aber, wie sich die Spieler in Verbindung zueinander bewegen. Bei einer Dreierkette können die Flügelverteidiger sich durchaus häufig situativ neben den drei zentralen Verteidigern wiederfinden, doch in der Bewegung selbst agieren sie meistens nicht gleichmäßig mit ihnen.

So können sich die Flügelverteidigern zum Beispiel durchgehend mannorientiert an einem Gegenspieler bewegen (und dadurch nicht prinzipiell ballorientiert verschieben wie die drei Akteure in der Mitte), sie können sich auch eher ans Mittelfeld anbinden und mit diesem verschieben oder sich auch flexibel in offenen Räumen positionieren. Eine solche Spielweise mit klarer Dreierkette gibt es aber überaus selten; im modernen Fußball kommen am ehesten die Chilenen in den vergangenen beiden Jahren, das Barcelona 2012 unter Josep Guardiola, die katalanische Vorgängermannschaft unter Johan Cruijff in den frühen 90ern oder Louis van Gaals Ajax Amsterdam an diese Spielweise heran.

Meistens sind die Flügel für diese Spielweise nicht konstant und präsent genug besetzt, es ist schwierig die Breite im Defensivspiel im letzten Drittel stabil bereitzustellen und alles in allem ist es eine komplexe Spielweise, die schwierig umzusetzen ist. Viele andere Mannschaften setzen darum auf die klassische Viererkette oder eben auf die Fünferkette. Ein Kompromiss ist allerdings die „pendelnde“ Viererkette.

Die pendelnde Viererkette

Bei der pendelnden Viererkette werden in gewisser Weise Elemente der Dreierkette, der Viererkette und der Fünferkette vermischt. Grundsätzlich stehen die fünf Verteidiger hier in einer Linie (oder wie in einer Sichel geformt), aber die jeweiligen Außenspieler sind bereit aus der Kette zu rücken, sobald der Gegner auf eine Seite spielt.

Der ballnahe Flügelverteidiger verschiebt dann nicht mehr im Kollektiv mit den anderen Spielern, sondern rückt aus der eigentlichen Fünferlinie heraus und presst dann auf Höhe des Mittelfelds. Meistens wird dies über Mannorientierungen auf den Flügeln erreicht. Die verbliebenen Spieler der Abwehr rücken nicht mit ihm heraus, sondern bleiben auf einer Linie und verschieben als nunmehr verbliebene Viererkette ballorientiert. Das bedeutet, dass der ballferne Flügelverteidiger sich zu den Innenverteidigern bewegt, mit diesen verschiebt und sich nicht wie sein Gegenüber höher positioniert.

Dadurch entsteht dieses „Pendeln“; die drei zentralen Spieler bleiben immer gleich, während sich je nach gegnerischer Angriffsseite ein Flügelverteidiger aus der Kette löst, während der andere sich eingliedert. Somit sind immer vier Spieler in einer Reihe und verschieben entsprechend wie mit einer Kette verbunden zum Ball, nur der äußerste Spieler wird immer ausgetauscht.

Im Gegensatz zur Dreierkette gibt es weniger Druck und Präsenz im Mittelfeld, alles in allem werden die Probleme der Dreierkette aber sehr gut kaschiert. Durch den ballnah herausrückenden und dann meist auf Mittelfeldhöhe pressenden Akteur wird ballnah Zugriff und Aggressivität erzeugt, der zweite Flügelverteidiger hingegen unterstützt ballfern, sichert das Verschieben der drei zentralen Verteidiger ab und verbessert die Breitenstaffelung. Bei gegnerischen Seitenwechseln kann er wiederum gut abgesichert und ungehindert herausrücken, der zuvor herausgerückte Flügelverteidiger lässt sich zurückfallen und sichert wieder ab. Bei Flanken ist außerdem größere zentrale Präsenz im Strafraum gegeben, wodurch diese besser abgefangen werden können.

Dennoch können Löcher auf den Seiten und in den Halbräumen entstehen, wenn der herausrückende Flügelverteidiger attackiert wird. Diese Präsenz in den Halbräumen ist dafür einer der großen Vorteile der Fünferkette.

Die Fünferkette

Bei der Fünferkette verschieben die fünf Spieler durchgehend gemeinsam. Geht der Ball auf den Flügel, dann verschiebt das Kollektiv gleichmäßig und gleichberechtigt auf die Seite. Die fünf Spieler haben dadurch immer nur sehr geringe Horizontalabstände zueinander, es entsteht hohe Kompaktheit und man ist schwer zu überspielen. Extreme und frühe Herausrückbewegungen des ballnahen Flügelverteidigers sind dadurch nicht möglich, prinzipiell gibt es aber eine bessere Organisation und Struktur im Defensivspiel. Das äußert sich insbesondere beim Herausrücken der zentralen Spieler, da diese immer sehr gut abgesichert werden und kaum Löcher offenbaren; bei einer pendelnden Viererkette und guten Pässen in offene Räume zwischen den Linien ist dies beispielsweise nicht in diesem Ausmaß gegeben.

Allerdings gibt es auch gewisse Nachteile gegenüber der pendelnden Viererkette. Die Breitenstaffelung ist minimal schwächer, was aber insgesamt durch die hohe Anzahl der Spieler meist relativiert wird. Problematischer sind aber unpassende Angriffskanäle und Spielerpositionierungen, wenn der Gegner ordentlich über die Halbräume zirkuliert und diagonal nach vorne agiert. Dazu kommt ein stärkeres leitendes Element nach hinten für die gegnerische Ballzirkulation, wobei sich dies natürlich positiv wie negativ äußern kann; häufig ist es eine stabilere, aber insgesamt passivere Spielweise.

Eine Linie ohne Kette und variable Handhabung

Als letzte Möglichkeit gibt es noch Abwehrreihen mit drei oder fünf Spielern, wo es keinen klaren Kettenmechanismus gibt. Ansatzweise hatten die Niederländer so etwas, da sich sehr viele der Abwehrspieler grundsätzlich auf einer Linie und in einem Band organisierten, aber immer wieder mannorientiert herausrückten; ob zentral oder auf den Flügeln. Hier gibt es dann keine klare Kette, sondern es wird intuitiv in Kleingruppen gelöst. Beispielsweise kann dann ein zentraler Spieler in der Abwehr herausrücken, die umliegenden Spieler rücken ein und sichern ihn ab (ein generell gängiges gruppentaktisches Mittel), während es auf bestimmten Positionen oder in bestimmten Situationen sein kann, dass er nicht durch das Einrücken abgesichert wird oder gleich mehrere Spieler herausrücken. Alternativ wäre es natürlich auch möglich, dass man je nach Gegner, Situation und im Spielverlauf variabel zwischen Dreier-, Fünfer- und pendelnder Viererkette umschaltet. Swansea City unter Michael Laudrup tat dies beispielsweise mit einer Viererkette als Grundausrichtung häufig.

Rene Maric, abseits.at

Rene Maric

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