Du kennst das sicher: Du sitzt im Stadion und hinter dir ist ein Schreihals, der sich andauernd über einzelne Spieler oder deren Spielweise aufregt,... Taktische Anweisungen von der Tribüne (1) – „Hiiiiin!!! Zuuuweee!!!“

Du kennst das sicher: Du sitzt im Stadion und hinter dir ist ein Schreihals, der sich andauernd über einzelne Spieler oder deren Spielweise aufregt, offensichtlich ohne einen Plan zu haben, was da am Spielfeld wirklich abläuft. Um deinen Stadionbesuch erträglicher zu gestalten, startet abseits.at eine Serie, die auf die häufigsten „taktischen Anweisungen von der Tribüne“ eingeht und einfache taktische und spielerische Situationen und ihre potentiellen Lösungen verdeutlicht.

Die erste taktische Anweisung, die wir unter die Lupe nehmen lautet: „Hiiiiin!!! Zuuuweee!!!“ (österreichisch: „Attackiere ihn! Bewege dich auf ihn zu!“)

Hier handelt es sich um einen Klassiker und zugleich das markanteste Augenrollen für Taktikinteressierte. Zunächst zur Vorgeschichte: Mannschaft A befindet sich im Spielaufbau. Der Torhüter passt den Ball zu seinem ersten Innenverteidiger und dieser sieht sich nach Anspielstationen um. In unserem Beispiel betrachten wir zwei Mannschaften, die typische 4-2-3-1-Systeme praktizieren. Der ballführende Abwehrspieler führt den Ball gemächlich vom eigenen Strafraum weg und sieht sich nach einem Abnehmer um, während die Solospitze von Mannschaft B der ballnächste Spieler des gegnerischen Teams ist. Dies könnte folgendermaßen aussehen:

Die Anweisung des Typen hinter dir lautet nun also: „Hiiiiin!!! Zuuuweee!!!“ – Damit will er ausdrücken, dass er die Solospitze gerne attackierend sehen würde. Oft ist diese taktische Anweisung mit unmissverständlicher Kritik an der Laschheit, mangelnden Laufbereitschaft und Untätigkeit der Solospitze verbunden, möglicherweise auch in Form von Kraftausdrücken. Im modernen, taktikgeprägten Fußball ist Pressing oder Forechecking durch einen einzelnen Spieler jedoch so gut wie nie sinnvoll.

Wenn die Solospitze wie ein Wilder den Ballführenden attackiert, hat er gleich mehrere Probleme:

  1. Er reißt die mannschaftliche Kompaktheit auseinander, indem er sich weit von seinen Mittelfeldspielern entfernt, die nicht am Pressing teilnehmen.
  2. Er geht aufgrund dessen, dass er so kaum einen Ball erobern wird (außer der Verteidiger fabriziert einen haarsträubenden individuellen Fehler), relativ weite bzw. intensive und zugleich ineffiziente Wege.
  3. Eine Folgeerscheinung dessen ist, dass der Stürmer relativ bald ein bronchiales oder pulmonales Problem bekommen wird – sprich: Er wird recht bald K.O. sein.
  4. Und das alles passiert deshalb, weil der Verteidiger zu viele Anspielstationen hat und diese gegen den einsam attackierenden Stürmer lockerlässig ausnutzen kann, wie wir in der folgenden Grafik sehen.

Die Anweisung sollte also nicht dem Angreifer gelten – zumindest nicht ihm alleine. Wenn man einen Ballführenden unter Druck setzen möchte, müssen sich ganze Mannschaftsteile richtig bewegen. Im Idealfall sogar die ganze Mannschaft. Wir sehen dies im folgenden Beispiel:

Die Mittelfeldspieler stellen Passwege zu, indem sie bewusst nach vorne schieben. Zugleich schiebt sich die Viererkette – vor allem die Innenverteidiger (die ja grundsätzlich defensiver ausgerichtet sind, als die Außenverteidiger) nach vorne. Auch das hat unmittelbare Auswirkungen auf das, was auf der anderen Seite des Platzes passiert, weil nämlich…

  1. …die Kompaktheit bestehen bleibt und die Abstände zwischen den Mannschaftsteilen nicht zu groß werden (–> kürzere Laufwege).
  2. …man den gegnerischen Angreifer oder durchbrechende Flügelstürmer einfacher ins Abseits stellen kann.
  3. …weil man die gegnerischen Offensivspieler weiter vom Tor weg zwingt.

Und während seine Hintermänner Gegenspieler oder Räume abdecken, erhält der „verteidigende Mittelstürmer“ einen Vorteil, weil der Innenverteidiger, der gerade das Spiel aufbauen will, nicht mehr viele Möglichkeiten vorfindet, wo er den Ball hinpassen kann. Jetzt kann der Mittelstürmer gezielter auf einen Fehlpass „zocken“, direkt attackieren oder auf Antizipation eines Mitspielers warten.

Merke also: Wenn die Solospitze alleine auf mehrere spielaufbauende Gegenspieler losläuft und man auch vom hintersten Platz des zweiten Ranges die Zunge des Stürmers raushängen sieht, dann ist das nicht primär seine Schuld, sondern das Resultat dessen, dass sich hinter ihm mehrere Spieler falsch bewegen oder positionieren!

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Daniel Mandl, abseits.at

Daniel Mandl Chefredakteur

Gründer von abseits.at und austriansoccerboard.at | Geboren 1984 in Wien | Liebt Fußball seit dem Kindesalter, lernte schon als "Gschropp" sämtliche Kicker und ihre Statistiken auswendig | Steht auf ausgefallene Reisen und lernt in seiner Freizeit neue Sprachen

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