Nachdem sich Italien schon um die Austragung der ersten WM bemüht hatte, aber mangels begüterter Mäzene gegenüber Uruguay den Kürzeren zog, wurde dem Stiefel... Weltmeisterschaft 1934: Mussolinis Liebkind holt den Pokal

Giuseppe Meazza - Italien 1934Nachdem sich Italien schon um die Austragung der ersten WM bemüht hatte, aber mangels begüterter Mäzene gegenüber Uruguay den Kürzeren zog, wurde dem Stiefel die Veranstaltung des Folgeturniers angeboten. 1932 ritterten zunächst aber noch Spanien und Schweden um den Zuschlag, das FIFA-Komitee entschied sich jedoch für das Konzept Italiens. Das Land, wo die Zitronen blühen hatte aus den Fehlern Uruguays gelernt und schickte sich an die Spiele in acht verschiedenen Städten auszutragen.

Staatschef Benito Mussolini roch Lunte und wollte das sportliche Turnier unbedingt für seine Zwecke nutzen. Der Lazio-Anhänger und Gründer der Serie A hatte die Zugkraft des Kickens längst erkannt und sah die Weltmeisterschaft als perfekte Bühne für seine politische Werbung. Der Diktator erhoffte sich einerseits Propaganda für den Faschismus, andererseits wollte er das Volk mit einem amüsanten Wettkampf ablenken: „Panem et circenses“ (Brot und Spiele) war schon ein Konzept seiner „Vorgänger“, der römischen Kaiser. Dieselbe Finte überlegt sich zwei Jahre später Adolf Hitler, als die olympischen Sommerspiele in Berlin ausgetragen wurden. Für Mussolini kam nur ein Sieg der Squadra Azzurra, der den Triumph des Faschismus versinnbildlichen sollte, in Frage. Mit allen Mitteln wollte der „Duce“ den Pokal.

Campi di Campionato Mondiale

Ob Winterspiele oder Weltmeisterschaften – oft hört man von unmenschlichen Arbeitsbedingungen, vorgehaltenen Lohnzahlungen, Umweltverschmutzungen und Enteignungen, wenn irgendwo auf der Welt Sport- und Vergnügungsstätten aus dem Boden gestampft werden. Diese fragwürdige Tradition fand auch schon bei der zweiten Fußball-WM statt: Vier Stadien wurden neu gebaut, zwei vom Keller bis zum Dach renoviert und zwei weitere umgebaut. Die Inflation ließ grüßen, Arbeitern wurden die Löhne gekürzt. Dafür besaß man in Bologna, Mailand, Genua, Florenz, Rom, Neapel, Turin und Triest acht neue Schmuckkästchen des „Calcio“.

Das Interesse am Kicken war derartig gestiegen, dass sich 32 Nationen zum Wettkampf anmeldeten. Von den relevanten Fußballnationen blieben zunächst nur England (wie auch schon bei der ersten WM der Geschichte) und –überraschenderweise- Titelverteidiger Uruguay fern. Zudem nahmen zwei asiatische Teams erstmals an der Qualifikation teil. Die europäischen Teams wurden in acht Quali-Gruppen aufgeteilt: Österreich konnte in Gruppe vier hinter Ungarn und vor Bulgarien Zweiter werden. Schweden ließ Litauen und Estland hinter sich, Spanien hinderte Portugal durch zwei Siege an einer Endrunden-Teilnahme.

Gastgeber Italien schoss Griechenland mit 4:0 ab, die Griechen verzichteten auf ein Rückspiel, nachdem italienische Offizielle 700.000 Drachmen gezahlt hatten. Die Tschechoslowakei besiegte Polen, die Schweiz triumphierte in Gruppe 6 vor Rumänien und Jugoslawien, in Gruppe 7 waren die Niederlande in der Endtabelle vor Belgien und Irland Erster. Deutschland und Frankreich reihten sich vor Luxemburg.

Brasilien und Argentinien erreichten die Endrunde „kampflos“: Ihre Gegner Chile und Peru verzichteten auf einen sportlichen Wettkampf. In Nordamerika wurde die USA vor Haiti, Mexiko und Kuba als Repräsentant ihres Kontinents ausgewählt. Ägypten war der einzige Endrundenstarter aus dem Nahen Osten.

Modus operandi

Anders als vier Jahre zuvor in Südamerika wurde das gesamte Turnier als K.O.-Modus ausgestaltet. Acht Teams galten als gesetzt, ihnen wurden die Gegner zugelost. Danach spielten im Viertelfinale die jeweiligen Sieger gegeneinander. Österreich gehörte neben Argentinien, Brasilien, Deutschland, Italien, den Niederlanden, der Tschechoslowakei und Ungarn zu den als am spielstärksten angesehenen Mannschaften der Endrunde. Im Viertelfinale besiegten die rot-weiß-roten Kicker den früheren k.u.k.-„Zwilling“ Ungarn mit 2:1, Italien und Spanien mussten nach zweimaliger 15-minütiger Verlängerung ins Wiederholungsspiel (ein Elfmeterschießen war noch nicht in Verwendung), wo der Gastgeber in einer „Skandalpartie“ mit 1:0 als Sieger vom Platz ging. Deutschland besiegte Schweden mit 2:1, die Tschechoslowakei gewann gegen die Schweiz mit 3:2.

Wie auch schon in Uruguay war das Gastgeberland mit klarer Schiedsrichterhilfe ins Halbfinale gerutscht. Guiseppe Meazza hatte sich beim Kopfballtreffer deutlich am spanischen Tormann aufgestützt, während andere „Azzurri“ den Keeper zudem behindert hatten. Durch Foulspiele mussten drei iberische Kicker w.o. geben, Auswechslungen waren damals noch nicht gestattet. Außerdem verwehrte der Spielleiter Spanien zwei klare Elfmeter sowie zwei reguläre Tore.

Ähnlich haarsträubend ging es im Halbfinale weiter: Der schwedische Referee war zuvor „Ehrengast“ bei einem Bankett Mussolinis gewesen und pfiff nun das Semifinale zwischen Italien und Österreich an. Er „erblödete“ sich eine Flanke auf einen frei stehenden rot-weiß-roten Stürmer wegzuköpfen und ließ das einzige Tor des Nachmittages tatsächlich gelten: Mehrere blaue Kicker hatten Torwart Platzer mit dem Ball in der Hand über die Linie gedrängt. Ebenso setzten die Italiener ihre rüde Gangart fort und verletzten so Österreichs Wunderkicker Matthias Sindelar. „Der Papierne“ konnte somit nicht im Spiel um Platz drei mitwirken, das überraschenderweise mit 2:3 verloren ging. Die DFB-Elf besiegte die als Favoriten geltenden Österreicher, die in himmelblauen SSC-Napoli-Trikots aufliefen. Beide Mannschaften verfügten über dieselben Farben und das Los entschied, dass die Österreicher andere Dressen überziehen mussten.

Mogelpackung

Im Finale stand nun, wie schon vier Jahre zuvor, das Gastgeberland einem Kontrahenten gegenüber. Dieses Mal hieß der Gegner Tschechoslowakei und verfügte mit Oldřich Nejedlý über den besten Torschützen des Turniers. Der Schwede Eklind drückte auch im Endspiel alle Augen (wahrscheinlich inklusiver seiner Hühneraugen) zu und ließ die Italiener ihr Spiel zu elft beenden. Fällige Platzverweise ignorierte der Schiedsrichter, doch auch er konnte die 1:0-Führung der Tschechoslowaken zunächst nicht verhindern. Orsi glich für die Stiefel-Kicker neun Minuten vor Schluss aus, Angelo Schiavio krönte Italien mit dem 2:1 in der Nachspielzeit zum zweiten Weltmeister in der Geschichte der Fußball-WM.

Der Triumph Italiens hatte einen mehr als bitteren Nachgeschmack, neben oben genannten zahlreichen „Rutschen“ durch den Schiedsrichter, verstießen die Südeuropäer auch gegen die FIFA-Regeln bezüglich des Einsatzes von Kickern, die schon in anderen Nationalteams gespielt hatten. Mit Luis Monti, Enrique Guaita, „Filo“ und Atílio Demaría waren vier „Ex“-Südamerikaner für die Europäer am Werk. Auch Argentinien und Irland missachteten dieses Reglement, Brasilien griff gar zu einem Trick um mit ihren besten Kickern teilnehmen zu können: Profispieler wurden kurz vor dem Turnier „reamateurisiert“, da die Südamerikaner zu diesem Zeitpunkt nur mit ihren Amateurverbänden Mitglied der FIFA waren und nur mit diesem hätten teilnehmen dürfen.

Der Deutsche Edmund Conen wurde zweitbester Torschütze der Endrunde und ist der erste Spieler, der bei einer WM-Endrunde einen Hattrick schoss (Achtelfinale Deutschland-Belgien, Endstand 5:2). Auf Seiten des frischgebackenen Weltmeisters spielte neben Meazza auch Torwart Giampiero Combi ein gutes Turnier. Der Turiner ließ sich im Vorfeld erst nach einem Handbruch des Stammgoalies Ceresoli überzeugen, bei der WM im Tor der Italiener zu stehen. Er führte die Squadra Azzurra als Kapitän bis ins Endspiel, nach welchem er seine Fußballschuhe endgültig an den Nagel hängte. Der Trainer des Weltmeister Vittorio Pozzo saß zwei Jahre später beim Olympiasieg der Italiener ebenfalls auf der Bank. Im Team stand jedoch kein einziger Spieler des WM-Kaders von 1934.

Österreich spekulierte auf den Titelgewinn und wurde undankbarer Vierter. Treibende Kräfte waren Austria-Legende Sindelar und Josef „Pepi“ Bican vom Stadtrivalen Rapid Wien.

Bestechungsvorwürfe gegenüber dem Schiedsrichter stellten sich später als wahr heraus, diese blieben jedoch nicht der einzige fahle Beigeschmack der zweiten WM-Endrunde. Kein Spiel, nicht einmal das Finale, war ausverkauft gewesen. Die hohen Eintrittspreise und der parallel laufende Giro d’Italia führten dazu, dass die Bevölkerung nur mäßig interessiert war. Man wird wohl behaupten können, dass Mussolinis Anweisungen, dass nur Italien als Sieger vom Platz gehen dürfe, um so die Überlegenheit des Faschismus zu beweisen, den sportlichen Wert der WM-Endrunde 1934 untergraben haben. Und auch die nächste Weltmeisterschaft sollte nicht frei von Politik und Extremismus sein.

Marie Samstag, abseits.at

Marie Samstag

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