Mit dem enttäuschenden sechsten Platz beendete Inter Mailand die Saison 2011/2012. Der Glanz des Champions-League-Siegs 2010 ist längst erloschen. Seit dem Triumph im Estadio... Umbruch in Mailand – das neue Inter unter Andrea Stramaccioni

Mit dem enttäuschenden sechsten Platz beendete Inter Mailand die Saison 2011/2012. Der Glanz des Champions-League-Siegs 2010 ist längst erloschen. Seit dem Triumph im Estadio Santiago Bernabeu, als noch Jose Mourinho an der Seitenlinie stand, betreuten fünf verschiedene Trainer den 18-fachen italienischen Meister. Der im wahrsten Sinne des Wortes jüngste und aktuellste ist Andrea Stramaccioni. Der 36-Jährige soll den Umbruch in der Modemetropole einleiten.

Wir haben ihm einen langfristigen Vertrag gegeben, weil es nur fair ist, ihm für seine Arbeit Zeit zu geben“, begründete Inter-Präsident Massimo Moratti die Entscheidung den Trainernovizen mit einem Vertrag bis 2015 auszustatten. „Wir möchten mit ihm das Inter der Zukunft aufbauen.“ Schon während der letzten neun Spiele leitete Stramaccioni das Training, holte dabei 17 von 27 möglichen Punkten.

Aufstieg von ganz unten

Die Spielerkarriere von Stramaccioni dauerte aufgrund einer hartnäckigen Knieverletzung nicht lange. Im Alter von nur 19 Jahren hängte er 1995 bei Bologna seine Schuhe an den Nagel, nie hatte er in einer höheren Liga als der Serie C1 gespielt. Seine ersten Schritte als Trainer machte er schließlich als Nachwuchstrainer bei AZ Sport, ehe er bei SS Romulea die ersten Erfolge feierte. Daraufhin wurde auch die Roma auf den aufstrebenden Jungtrainer aufmerksam und besetzte das Amt des U15-Trainers mit ihm. Sein Verhältnis zur Sensi-Familie wurde aufgrund der Erfolge, die Stramaccioni mit der Allievi Nazionali reihenweise einfuhr, immer intensiver. Als jedoch amerikanische Investoren beim Hauptstadtklub einstiegen, musste der „Mourinho der Jugendtalente“, wie ihn die Gazzetta dello Sport bezeichnet, seine Koffer packen – ein schwerer Schlag für den Jura-Absolventen. „Ich verließ mein Herz und meine zweite Familie in Trigoria. Ich schäme mich nicht, zuzugeben, dass ich geweint habe, als ich alle umarmt habe.“ Nachdem er in Rom als überflüssig angesehen wurde kam er 2011 bei Inter, das ihm ein langfristiges Jugendprojekt anvertraute, unter. Bereits in seiner ersten Saison holte Stramaccioni mit der Primavera den Titel bei den NextGen Series, einen Tag später wurde er als neuer Chefcoach vorgestellt – der Aufstieg vom Amateurbereich zu einem der begehrtesten Klubs Italiens war perfekt.

Ein motiviertes Team, das bereit ist zu arbeiten

In seinen ersten Profispielen waren Stramaccionis Aufgaben vor allem psychischer Natur. Viele Spieler wirkten unmotiviert oder befanden sich einem Formtief, das Selbstvertrauen und der absolute Siegeswillen fehlte. In der kommenden Saison will sich der „italienische Andre Villas-Boas“ auch hinsichtlich seiner fußballerischen Ansichten entfalten können. „Ich will ein motiviertes Team, das bereit ist zu arbeiten und die Enttäuschung der letzten Saison vergessen machen will“, so der Römer. So verließ zum Beispiel Abwehrspieler Lucio den Verein, da die Leistungskurve des Brasilianers in den letzten Jahren steil bergab ging. Aufgerüstet wurde mit eben jenen erfolgshungrigen Spielern, die den Nerazzurri den Erfolg zurückbringen sollte. Bei der Kaderzusammenstellung achtete Stramaccioni in erster Linie auf die richtige Mischung. Zwar ist von den namhaften Neuzugängen – Handanovic (Udinese), Silvestre (Palermo), Guarin (Porto), Palacio (Genoa) – niemand jünger als 26 Jahre, dafür wurden der Profikader um acht Jugendspieler bereichert, die Stramaccioni bereits aus seiner Nachwuchstrainertätigkeit kennt. Der dadurch aufgeblähte Kader dürfte aber noch um den einen oder anderen prominenten Namen gekürzt werden.

Julio Cesar und Maicon vor Absprung

Mit der Verpflichtung von Torhüter Handanovic sind die Tage von dessen Vorgänger Julio Cesar gezählt. Die Frage ist allerdings ob die Mailänder einen Abnehmer für den 32-Jährigen finden können, zählt der Brasilianer doch zu den Topverdienern. Dies war auch einer der Hauptgründe warum man sich um eine neue Nummer eins umsah, denn rund 4,5 Millionen Euro bringt Cesar der aktuelle Vertrag jährlich ein. Mit dem Engagement von Handanovic spart man etwa 60%. Der Slowene verdient angeblich zwei Millionen pro Saison, könnte sich mit Boni jedoch zusätzlich was dazuverdienen. Mit der Reputation ein Schreckgespenst für Stürmer in Eins-gegen-Eins-Situationen zu sein tritt Handanovic sein Amt bei Inter an und neben seiner Athletik sieht ihn auch die Statistik im Vorteil. In zirka 43% seiner Ligaspiele in den letzten beiden Jahren blieb er ohne Gegentor, Cesar kommt lediglich auf 35%. Dies ist allerdings auch auf die wacklige Defensive vor ihm zurückzuführen. Ebenso muss berücksichtigt werden, dass die Aufgaben zwischen Udineses Pfosten einen Tick leichter zu bewältigen sind, mit einer faireren Bewertung sollte man also definitiv noch warten. Bei Cesars Landsmann Maicon dürfte ein Transfer leichter zu bewerkstelligen sein. Der Rechtsverteidiger steht auf dem Wunschzettel von Real Madrid, was angesichts der Tatsache, dass dort mit Mourinho ein großer Fan des 30-Jährigen werkt, eine mehr als realistische Option ist. Zwar würde man auch mit diesem Transfer einen großen Gehaltsspielraum schaffen, allerdings ist die Frage nach einem Nachfolger noch nicht zu 100 Prozent beantwortet. Zum einen spekulieren die Gazetten mit einer Verpflichtung eines neuen Akteurs – zum Beispiel Lilles Mathieu Debuchy – andererseits befinden sich mit Kapitän Zanetti und den aus Parma zurückkehrenden Jonathan bereits zwei ernstzunehmende Alternativen im Kader. Ein weiterer und für viele der beste Ersatz, Davide Faraoni, würde im Zuge des Handanovic-Deals abgegeben. Der 20-Jährige Youngster, der letzte Saison erstmals Profiluft schnupperte, kann auf der gesamten rechten Außenbahn eingesetzt werden und zeigte in der abgelaufenen Spielzeit mit seiner Unbekümmertheit auf.

Das Konzept ist das wichtigste

Ich mag es nicht über Zahlen zu reden, weil ich glaube, dass das wichtigste das Konzept ist, das das Team auf dem Feld verkörpert; ein Team muss eine klare Identität haben“, sagte Stramaccioni auf die Frage ob er ein bestimmtes System präferiere. Allerdings beteuert er auch, dass es sein Traum sei drei angriffsausgerichtete Spieler zu haben. Als Grundgerüst käme demnach ein 4-2-3-1 mit zurückgezogenem Zehner infrage. Dieser wird aller Voraussicht nach Wesley Sneijder sein, der jedoch seit dem verlorenen WM-Finale 2010 seiner Form hinterherläuft. Ein weiterer Name, den man in diesem Zusammenhang vernimmt, ist Lucas vom FC Sao Paulo. Bezüglich einer Verpflichtung des 19-Jährigen meint Inters Coach nur: „Lucas? In unserer Mannschaft gibt es keinen mit diesem Namen.“ Dies dürfte darauf hindeuten, dass sich im Offensivbereich nur mehr wenig tun wird. Die Endlosgerüchte um einen Wechsel von Sneijder zu Manchester United sind mit deren Verpflichtung von Shinji Kagawa verstummt. Lediglich der Verbleib von Stürmer Giampaolo Pazzini ist noch unsicher. „Ich glaube, dass der Verein seine Entscheidung getroffen hat und ich nicht weiter Teil dieses Projekts bin“, ließ der Angreifer über italienische Medien ausrichten. Auch in dieser Personalie war Stramaccioni um eine diplomatische Antwort bemüht: „Als Trainer von Inter bin ich nicht dafür verantwortlich, wer geht oder wer bleibt, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich großen Respekt vor Pazzini habe.“ Der 27-Jährige spielt hinter Diego Milito mittlerweile nur mehr die zweite Geige, dürfte jedoch nur abgegeben werden wenn ein Ersatz gefunden wird. Als Wunschkandidat zählt Sienas Mattia Destro, hinter dem allerdings sämtliche Topklubs der Serie A her sind.

So könnte Inter 2012/2013 aussehen

Eine weitere Alternative für die Stürmerposition ist Rodrigo Palacio, den man um 10,5 Millionen von Genoa holte. Vorrangig ist der 30-Jährige Argentinier für die Position des Rechtsaußen eingeplant und soll mit Diagonalläufen in den Strafraum für Gefahr sorgen. Da auf der gegenüberliegenden Seite mit Ricardo Alvarez und Philippe Coutinho ebenfalls zwei zentral-orientierte Spieler agieren werden, kann man sich auf ein enges 4-2-3-1 bzw. 4-3-3-System einstellen. Als Absicherung dienen Esteban Cambiasso und Fredy Guarin, die nicht ein klassisches Passer-Abräumer-Gespann bilden, sondern sich bei den Defensiv- und Offensivaufgaben abwechseln werden. Dies scheint generell  Stramaccionis Tendenz zu sein, denn mit Obi, Mariga und Stankovic stehen ähnliche Spielertypen in der Wartschlage, wobei Letzterer noch wechseln könnte. Eher als spielmachender Sechser bzw. Achter hätte Andrea Poli, der bereits letzte Saison ausgeliehen war, fungieren können, jedoch konnte man sich mit Sampdoria nicht über die Ablösemodalitäten einigen. Die Problematik auf der rechten defensiven Außenbahn wurde bereits oben erläutert. Da aufgrund der in die Mitte ziehenden Flügelspieler vor allem die Außenverteidiger für Breite im Offensivspiel sorgen sollten, scheint ein Neuer vom Typus „Debuchy“ als logische Variante, da Zanetti und Jonathan die offensiven Anforderungen nur bedingt erfüllen. Weniger Probleme dabei sollte Linksverteidiger Nagatomo haben. In der Innenverteidigung dürften Silvestre und Samuel erste Wahl sein, dahinter hat man mit Rannocchia und Chivu routinierte sowie Juan und Bianchetti junge Alternativen.

axl, abseits.at

Alexander Semeliker

@axlsem

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